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Das Menschenbild im Begleitkonzept sozialer Institutionen

Aktualisiert: 7. Mai

Das Menschenbild ist integraler Bestandteil eines Begleitkonzeptes und darf somit nicht fehlen. Doch was hat es eigentlich damit auf sich? Wieso ist es so wichtig, welche unterschiedlichen Arten von Menschenbildern gibt es und woran sollten Sie denken bei der (Weiter-)Entwicklung ihres Menschenbildes? Erst wenn man das versteht, ist man auch in der Lage, ein individuelles und aussagekräftiges Menschenbild zu entwickeln. Deshalb werde ich nachfolgend näher auf diese Fragen eingehen

Porträtcollage von lächelnden Menschen verschiedenen Alters und Geschlechts vor neutralem Hintergrund. Gesichtsausdrücke sind fröhlich.

Was ist ein Menschenbild?

Menschenbilder sind Vorstellungen, die wir von den grundlegenden Wesensmerkmalen und Eigenschaften des Menschen haben. Wir alle versuchen, das Verhalten unserer Mitmenschen zu erklären, vorherzusagen und zu beeinflussen. ​


Wie wird die Person reagieren, wenn ich ihr etwas anvertraue? Wird die Person das Geld zurückzahlen, wenn ich ihr etwas leihe? Kann ich dem Klienten zutrauen, alleine die ÖV zu benutzen? Zur Beantwortung dieser und ähnlicher Fragen greifen wir oftmals – bewusst oder eben auch unbewusst – auf unsere Menschenbilder zurück. Sie haben richtig gelesen: Menschenbilder. Denn je nach Personengruppe haben wir von diesen auch ein jeweils unterschiedliches Menschenbild. So betrachten wir, ohne rassistisch zu sein, Menschen aus Senegal mit anderen Vorstellungen und Erwartungen als etwa unsere Arbeitskolleg*innen. Die Menschenbilder beeinflussen unser Denken und Handeln – bewusst oder unbewusst.

Notizbücher, Stifte, Späne und eine Tasse Kaffee auf einem Holztisch. Kreative, gemütliche Atmosphäre mit skizziertem Behälter im Skizzenbuch.



Nietzsche hat geschrieben: «Überzeugungen sind gefährlichere Wahrheiten als Lügen». Den Grund dafür eine solche Aussage zu machen, sehe ich darin, dass uns die Überzeugungen, im Gegensatz zu den Lügen, oftmals nicht bewusst sind. Umso wichtiger ist es, sein Menschenbild bewusst zu reflektieren und festzuhalten. ​

Warum ist die Reflexion und das Festhalten des Menschenbilds so wichtig?

Bei Menschenbildern lässt sich ein spannender Effekt zu beobachten: Sie bewahrheiten sich oftmals – wobei sie des Öfteren auch durchaus widersprüchlich sein können. So gehen etwa einige Führungskräfte von der Annahme aus, dass glückliche Kühe mehr Milch geben. Andere wiederum nehmen an, dass mehr Gehalt zu mehr Leistung führt. Dieses Phänomen der sich selbst erfüllenden Annahmen ist auch bekannt unter den Begriffen «Rosenthal-Effekt», «Pygmalion-Effekt» oder «Selbsterfüllende Prophezeiung».

Um die Wirkung dieses Effektes noch etwas anschaulicher zu erklären, nachfolgend ein Beispiel von einer Mutter, die davon überzeugt ist, dass ihr Sohn, Leo, wenig begabt ist. Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass sich die Mutter entsprechend dieser Überzeugung verhalten wird: Sie wird Leo voraussichtlich weniger zutrauen und ihm weniger herausfordernde Aufgaben stellen. Leo darf somit weniger selbst entscheiden und seine Entscheidungen und sein Verhalten werden vermutlich auch häufiger kontrolliert. Wahrscheinlich erhält er auch etwas weniger Lob als andere, weil seine Leistungen ja schliesslich unter dem Durchschnitt liegen.

Menschenmenge von hinten, sonnendurchflutet. Text: "Menschenbilder sind sich selbst erfüllende Prophezeiungen". Website: www.conceptera.ch.

Die Folge davon dürfte sein, dass Leo weniger Möglichkeiten erhält, Erfahrungen zu sammeln und seine Kompetenzen zu erweitern und dadurch ein geringeres Selbstvertrauen sowie eine geringere Selbstwirksamkeit entwickelt. Dementsprechend wird Leo in seinem Verhalten voraussichtlich auch weniger kompetent und erfolgreich sein. Die Mutter nimmt dies wahr und dürfte sich in ihren Annahmen bestätigt fühlen, weswegen sie sich noch intensiver diesem Menschenbild entsprechend verhalten dürfte. Ein Teufelskreis, der dazu führt, dass Leo sich immer mehr in diese für ihn nachteilig auswirkende Richtung entwickelt. Dieses Beispiel lässt sich gut auf unseren Umgang mit unseren Klient*innen, aber auch mit unseren Mitarbeitenden übertragen und zeigt deutlich, weshalb es so wichtig ist, seine Vorstellungen und Erwartungen explizit zu machen und zu hinterfragen. Ausserdem ist es ein Hinweis darauf, weshalb es sinnvoll ist, Menschenbilder etwas positiver zu formulieren, als sie objektiv gesehen gerechtfertigt wären. ​

Welche unterschiedlichen Menschenbilder gibt es?

Menschenbilder sind stark abhängig von unserer Kultur, der Region, in der wir leben, der Branche, in der wir tätig sind und auch dem Zeitgeist. Um den raschen Wandel der Menschenbilder noch weiter zu verdeutlichen, möchte ich Ihnen nachfolgend einige Menschen nennen, die das Menschenbild ihrer Zeit stark geprägt haben bzw. die vorherrschenden Menschenbilder ihrer Zeit zum Ausdruck bringen.

  • Platon (428/427-348/347 v. Chr.)


    Je nach Stand haben Menschen unterschiedliche Bestimmungen.

  • Johann Amos Comenius (1592-1670)


    Das Ständedenken wird aufgelöst und es wird davon ausgegangen, dass der Mensch unabhängig seines Standes ein Ebenbild Gottes ist.

  • Immanuel Kant (1724-1804)


    In der Zeit der Aufklärung herrscht der Grundgedanke vor, dass der Mensch ein vernunftbegabtes Wesen ist.

  • René Spitz (1887-1974)


    Die Wichtigkeit der emotionalen und zwischenmenschlichen Interaktion wird wieder neu gewichtet. Spitz stellt in seinen Untersuchungen mit Heimkindern fest: Das Ausbleiben emotionaler Zuwendung kann zu emotionalem Verhungern führen.

  • John Bowlby (1907-1990)


    Der Mensch ist auf Bindung angewiesen.

  • Eduard Spranger (1914)


    Ein bis heute in der Wirtschaftswelt weit verbreitetes Menschenbild ist der Homo Oeconomicus mit der Annahme: Der Mensch stellt in allen Lebensbeziehungen den Nützlichkeitswert an erste Stelle.

  • Gerhard Roth (geb. 1942)


    Das lebenslange Lernen wird entdeckt. Der Biologe und Hirnforscher Roth stellt fest: Das Gehirn des Menschen besitzt eine hohe Plastizität.

  • Charlotte Bühler, Abraham Maslow, Carl Rogers (ab 1962)


    Das humanistische Menschenbild basiert auf der Grundannahme, dass jeder Mensch ein ganzheitliches Wesen ist, welches von Natur aus gut ist, Lösungen für Probleme bereits in sich trägt und ein Leben lang lernfähig ist.

Noch vor 10 Jahren wurde in Behinderteninstitutionen mit einem anderen Menschenbild gearbeitet als heute. Inzwischen gibt es eine neue Ausrichtung des Verständnisses von Behinderung. An die Stelle von Fürsorge und Ausgleich vermeintlicher Defizite ist heute das Verständnis getreten, dass Menschen mit Beeinträchtigung selbstbestimmt entscheiden können, was ihnen guttut. Menschenbilder sind also nichts Statisches, sondern sie verändern sich im Laufe der Zeit. Es ist deshalb sinnvoll und notwendig, diese in regelmässigen Abständen zu überprüfen und zu überarbeiten.

Worauf ist zu achten bei der (Weiter-)Entwicklung des Menschenbildes?

Es ist sinnvoll, sich als Institution eigene Gedanken zum Thema Menschenbild zu machen. Denn die Aussage «Wir orientieren uns am humanistischen Menschenbild» ist für die Umsetzung im Alltag meist nur wenig hilfreich. Dies merken sie spätestens dann, wenn sie ihre Mitarbeitenden konkret fragen: «Woran würde eine Besucherin erkennen, dass Ihrer Arbeit das humanistische Menschenbild zugrunde liegt?» Folgende Fragen könnten Ihnen helfen, ein individuelles und aussagekräftiges Menschenbild zu entwickeln:

  • Woran wird man erkennen, dass ein Mensch diesem Menschenbild entspricht?

  • Welche Auswirkung hat dieses Menschenbild auf die Menschen/ihre Klient*innen?

  • An welchen Handlungen lässt sich beobachten, dass die Mitarbeitenden das Menschenbild verinnerlicht haben?

Ich hoffe, dieser Artikel regt Sie dazu an, sich mit Ihrem Menschenbild auseinanderzusetzen und dieses zu hinterfragen. Ich freue mich immer über Ihre Kommentare und Rückmeldungen. Und falls Sie Unterstützung benötigen sollten bei der konzeptionellen (Weiter-)Entwicklung ihres Menschenbildes: Ich bin gerne für Sie da.

Sonja Gross 

Master of Arts in Erziehungswissenschaft

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