Ist das Erziehungsverhalten schuld an Verhaltensauffälligkeiten von Kindern? "Daran ist alleine die Erziehung schuld!" Diese Aussage ist mir immer wieder begegnet. Ist da etwas dran? Die elterliche Erziehung spielt eine entscheidende Rolle für die verhaltensspezifische Entwicklung von Kindern. Sie hat einen entscheidenden Einfluss auf verschiedenste Bereiche der Entwicklung, zum Beispiel die inneren Konflikte, Abwehrmechanismen, Aggressivität, Schüchternheit sowie auch auf die Ausprägung und Entwicklung sozialer Kompetenzen. Die durch die Erziehung vermittelten Wertvorstellungen, Meinungen und Haltungen weisen für die Kinder einen prägenden Charakter auf. Grundsätzlich werden seit Diana Baumrinds Typologie drei Erziehungsstile unterschieden: Der autoritative, der autoritäre und der laissez-faire Erziehungsstil. Der letztgenannte wird seinerseits unterteilt in ein permissives und vernachlässigendes Erziehungsverhalten. Lesen Sie dazu den von mir kürzlich veröffentlichten Artikel. Zur Aufgabe der Eltern gehört es, ihren heranwachsenden Kindern soziale, kulturelle und gesellschaftliche Werte und Normen zu vermitteln, um zu gewährleisten, dass sie sich mit den Erwartungen und Anforderungen der Gesellschaft zurechtfinden. Welches Erziehungsverhalten sie dazu anwenden, ist stark abhängig von den Erfahrungen, die sie in ihren Herkunftsfamilien gemacht haben. Durch die Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie werden Erziehungsstile einerseits weitergegeben oder andererseits bewusst durchbrochen. Sollen Kinder wieder strenger erzogen werden? Welchen Einfluss hat der Erziehungsstil auf Verhaltensauffälligkeiten? In diesem Artikel werden verschiedene Forschungsergebnisse zu dieser Frage verglichen, um zu beantworten, welchen Einfluss ein autoritärer im Vergleich zu einem autoritativen Erziehungsstil auf die Entwicklung von Verhaltensauffälligkeiten hat. Der Zusammenhang zwischen Kindesverhalten und autoritärem Erziehungsstil In zahlreichen Studien konnte ein Zusammenhang zwischen dem elterlichen Erziehungsverhalten und den Persönlichkeitsmerkmalen bzw. dem symptomatischen Verhalten des Kindes nachgewiesen werden. Eigenschaften wie Intelligenz, Kreativität, Leistungsmotivation, Selbstachtung und soziale Kompetenz, aber auch Selbstachtung, aggressives Verhalten, Hyperaktivität und emotionale Auffälligkeiten und sozio-emotionale Kompetenzen von Kindern weisen hohe Korrelationen zum Erziehungsstil auf, d.h. sie stehen in einem engen Zusammenhang mit diesem. Es hat sich gezeigt, dass insbesondere eine starke Machtdurchsetzung vonseiten der Eltern – welche sich in autoritärem Erziehungsverhalten zeigt – oftmals mit problematischen Kindesverhaltensweisen einhergeht. Die Studie von Reichle und Franiek (2009) zum Beispiel zeigt höchst signifikante Zusammenhänge zwischen machtvoller Durchsetzung mit oppositionell-aggressivem Verhalten. Insbesondere bei Jungen besteht ausserdem eine hohe Korrelation mit Hyperaktivität und Kinder beider Geschlechter weisen bei einem autoritären Erziehungsstil niedrigere sozial-emotionalen Kompetenzen auf. Kellerhans (1994) beschreibt in seinem Artikel „Erziehungsstile in den heutigen Familien“ vor allem den Zusammenhang zwischen dem Erziehungsstil und der Selbstachtung. Unter Selbstachtung wird einerseits die Fähigkeit zur Einschätzung der persönlichen Kompetenz in verschiedenen Bereichen verstanden und andererseits die Einschätzung des Subjekts seiner Persönlichkeit im Vergleich zur sozialen Umgebung. Der Anteil an positiver Selbstachtung liegt bei Kindern und Jugendlichen unter dem Typus „autoritärer Stil“ lediglich bei 17%. Dieses Ergebnis verdeutlicht, dass nicht einmal jeder Fünfte über eine angemessene, positive Selbstachtung verfügt. Wobei der Einfluss auf das Selbstwertgefühl höher ist, als der Einfluss auf das Kompetenzgefühl. Zudem steht die Selbstachtung bei den Knaben in einem engeren Zusammenhang mit dem Erziehungsstil, als bei den Mädchen. Wichtig ist des Weiteren zu erwähnen, dass die Selbstachtung unabhängig vom sozialen Milieu oder der Art des Familienzusammenhalts ist. Noack und Kracke (2003) haben die „wechselseitige Beeinflussung zwischen elterlichem Erziehungsstil und Problemverhalten bei Jugendlichen“ anhand einer Längsschnittstudie untersucht. Hinsichtlich der Delinquenz gab es einen grossen Unterschied zwischen den männlichen und weiblichen Untersuchungsteilnehmern, wobei die männlichen Versuchspersonen signifikant höhere Werte aufwiesen. Obwohl die Befundlage nicht eindeutig scheint, konnten insgesamt Delinquenz mindernde Einflüsse des autoritären Erziehungsverhaltens auf die Jugendlichen ausgemacht werden. Allerdings steigert ein autoritäres Erziehungsverhalten gleichzeitig die Aggressionstendenz. Zum Auftreten kann gesagt werden, dass der autoritäre Erziehungsstil eher in den unteren Schichten zu finden ist. Generell üben Unterschichteltern mehr Kontrolle, Zwang, Überwachung und Gewaltanwendung aus als Oberschichteltern, so Noah und Kracke (2003). Weiter scheint es, dass Eltern im mittleren Jugendalter autoritärer werden, und zwar insbesondere als Reaktion auf Problemverhalten. Zudem hängt der Erziehungsstil stark mit dem Zusammenhalt der Familie zusammen. Laut Kellerhans (1994) dominiert in den sogenannten „Festungs“-Familien der autoritäre Erziehungsstil. Die „Festungs“-Familien zeichnen sich dadurch aus, dass der Zusammenhalt der Mitglieder gross ist, dass die Wichtigkeit eines innerfamiliären Konsenses betont wird, und dass die Familie als Rückzugsgebiet betrachtet wird. Es kann somit festgehalten werden, dass verschiedene quer- und längsschnittliche Studien eine Korrelation zwischen problematischen Verhaltensweisen bei Kindern und Jugendlichen, wie Aggressivität, Hyperaktivität und emotionale Auffälligkeiten nachweisen konnten. Gleichzeitig gibt es auch eine Studie, die den autoritären Stil als Delinquenz mindernd beschreibt. Offen bleibt bei diesen Ergebnissen allerdings zu welchem Grad der Erziehungsstil eine Reaktion auf das Verhalten des Kindes ist oder inwiefern das Kindesverhalten durch den Erziehungsstil bedingt ist. Der Zusammenhang zwischen Kindesverhalten und autoritativem Erziehungsstil Die Längsschnittstudie des „National Institute of Child Health and Human Development“ konnte 2002 zeigen, dass Vorschulkinder, die in einem autoritativen Erziehungsumfeld aufwachsen, höhere vorschulische Fertigkeiten, bessere Sprachfertigkeiten, mehr soziale Fertigkeiten und weniger Verhaltensprobleme aufweisen. Aber auch bei Jugendlichen hängen erwünschte Verhaltensweisen stark mit dem autoritativen Erziehungsstil zusammen. Jugendliche, die unter diesem Stil aufwuchsen, erreichen bessere Leistungen in der Schule, sind weniger häufig depressiv oder ängstlich, verfügen über höhere Eigenständigkeit und einen höheren Selbstwert. Ausserdem zeigen sie weniger häufig Problemverhalten, wie Delinquenz oder Drogenmissbrauch. Kellerhans (1994) findet heraus, dass 40% aller Kinder und Jugendlichen, die unter einem autoritativen Erziehungsstil aufwachsen, über eine positive Selbstachtung verfügen. Weiter konnten Noack und Kracke (2003) zeigen, dass autoritative Erziehung eine Verringerung aggressiver Tendenzen nach sich zieht. Zudem sagt ein erhöhtes Ausmass an Delinquenz eine niedrigere Ausprägung der autoritativen Erziehung voraus. Das heisst je höher der autoritative Stil ausgeprägt ist, desto niedriger ist die Delinquenz. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass autoritative Erziehung Delinquenz und aggressiven Tendenzen entgegenwirkt und entwicklungsfördernd ist. Vergleich und Schlussfolgerung Während der autoritäre Erziehungsstil oft mit unerwünschten oder problematischen Verhaltensweisen einhergeht, korreliert der autoritative Erziehungsstil signifikant häufiger mit erwünschten Entwicklungen des Kindes. Es konnte gezeigt werden, dass autoritär erzogene Kinder vermehrt oppositionell-aggressives Verhalten aufzeigen und die Selbstachtung deutlich weniger stark ausgeprägt ist. Während 40% der Kinder unter autoritativem Einfluss eine positive Selbstachtung aufwiesen, waren es beim autoritären Erziehungsverhalten lediglich 17%. Im Gegensatz zur autoritären Erziehung, bei der die Aggressionstendenz eher zunimmt, zieht die autoritative Erziehung eine Verringerung aggressiver Tendenzen nach sich. Weiter sagt der autoritative Erziehungsstil eine tiefere Delinquenz voraus, während beim autoritären Erziehungsstil in einer längsschnittlichen Erhebung ein positiver Einfluss auf das Delinquenzverhalten nachgewiesen werden konnte. Ausserdem korreliert das autoritative Erziehungsverhalten mit zahlreichen anderen positiven Entwicklungen, die sich vor allem im schulischen aber auch im sozialen Bereich zeigen. Nebst der einen positiven Auswirkung des autoritären Erziehungsstils auf schon vorhandene Delinquenz konnten beim autoritären Erziehungsstil vermehrt problematische Kindesverhaltensweisen gefunden werden im Gegensatz zum autoritativen Stil. Autoritär erzogene Kinder zeigen deutlich mehr negative Verhaltensweisen, als Kinder die unter einem autoritativen Erziehungsstil aufwuchsen. Es kann allerdings nicht eindeutig festgestellt werden, dass das Verhalten durch den elterlichen Erziehungsstil herbeigeführt wird. Vielmehr sollte davon ausgegangen werden, dass Erziehung und Problemverhalten durch einen wechselseitigen Prozess miteinander verbunden sind. Das heisst, dass sich der Erziehungsstil nicht unilinear auf das Kindesverhalten bzw. die Kindesentwicklung auswirkt. Das Verhalten des Kindes – zum Beispiel sein Temperament – kann ebenso auf den Erziehungsstil einwirken. Ausserdem müssten die Altersgruppen differenzierter betrachtet werden. Es ist unwahrscheinlich anzunehmen, dass das optimale elterliche Erziehungsverhalten zu jedem Entwicklungszeitpunkt das Gleiche bleibt. Was bedeutet diese Schlussfolgerung nun für die Praxis? Der positive Zusammenhang zwischen autoritativem Erziehungsstil und wünschenswerten Verhaltensweisen und der Vergleich mit dem autoritären Erziehungsverhalten lässt darauf schliessen, dass es vorteilhaft für die Entwicklung des Kindes ist, autoritativ aufzuwachsen. Da dies vielen Eltern nicht bewusst ist, was sich in der Schweiz auch traditionell begründen lässt, wäre es in einem ersten Schritt wichtig, die Eltern vermehrt darüber in Kenntnis zu setzen. Untersuchungen von Eltern-Trainings haben durchaus positive Effekte gezeigt und es ist nachgewiesen, dass sich nur schon eine bewusste Erziehungshaltung der Eltern positiv auf das Kindesverhalten auswirkt. Besonders unterstützend könnten Elterntrainings sein, wenn das Kind oder der Jugendliche problematische Verhaltensweisen zeigt. Denn gerade dann, so haben Noack und Kracke (2003) gezeigt, neigen Eltern dazu autoritärer zu werden. Meist mit unerwünschten Folgen, da gerade in einer solchen Situation eher ein autoritativer Erziehungsstil dem Problemverhalten entgegenwirken würde. Literatur und Tipps Ecarius, J. (Hrsg.) (2007). Familienerziehung. In: Handbuch Familie. Heidelberg: Springer (S.137-156). Kellerhans, J. (1994). In: Familie. Sieben Beiträge. Institut für Sozialethik (S. 8-19). Maccoby, E. E. (2000). Parenting and its effects on children – On reading and misreading behavior genetics. Anual Review of Psychology, 1, 1-27. Noack, P. & Kracke, B. (2003). Elterliche Erziehung und Problemverhalten bei Jugendlichen – Analysen reziproker Effekte im Längsschnitt. Zeitschrift für Familienforschung, 1, 25-37. Ratzke, K., Gebhardt-Krempin, S. & Zander, B. (2008). Diagnostik der Erziehungsstile. In: Cierpka, M. (Hrsg.), Handbuch der Familiendiagnostik (3. Aufl.) Heidelberg: Springer (S. 242-255). Reichle, B. & Franiek, S. (2009). Erziehungsstil aus Elternsicht – Deutsche erweiterte Version des Alabama Parenting Questionnaire für Grundschulkinder. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 41 (1), 12-25. Wild, E. & Lorenz, F. (2009). Familie. In: Wild, E. & Möller J. (Hrsg.), Pädagogische Psychologie. Heidelberg: Springer (S. 235-259).
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Sonja Gross Master of Arts in Erziehungswissenschaft
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