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Was ist geistige Behinderung?

10/2/2021

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Jeder von uns verbindet mit dem Begriff «Geistige Behinderung» vermutlich etwas anderes. Aber wie wird geistige Behinderung überhaupt genau definiert? Und wer gilt eigentlich als geistig behindert und wer nicht?
Auf diese komplexe Fragen möchte ich in diesem Artikel näher eingehen. 
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​Der Begriff geistige Behinderung
Der Begriff «geistige Behinderung» wird erst seit Ende der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts verwendet. Gerne möchte ich die Entwicklung bis zu diesem Zeitpunkt kurz skizzieren, weil dadurch auch deutlich wird, wie sehr doch die Begriffe von Gesellschaft und Kultur geprägt werden.
Menschen mit einer «geistigen Behinderung» gab es schon immer. Im Laufe der Jahrhunderte haben sich die Bezeichnungen für Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen immer wieder verändert. Bereits um Christi Geburt wurden solche Kinder als «Strafe der Götter» angesehen und bereits Neugeborene getötet. Wer am Leben blieb, wurde meist versklavt. Im Mittelalter sprach man von «Wechselbälgern»; so predigte etwa Luther, dass die betroffenen Kinder als Säuglinge vom Teufel ausgetauscht worden und «geistig Tote» seien. Vielfach wurden sie verstossen, verkauft und versklavt und in Rahmen von Hexenprozessen gequält und hingerichtet. Um zu überleben, mussten die Betroffenen betteln, zogen mit Gauklern umher und  wurden als »Krüppel« oder »Missgeburten« zur Schau gestellt.
Noch bis in die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts war es üblich, für Menschen mit einer Beeinträchtigung Begriffe wie «Idioten», «Geistesschwache», «Imbezile» oder «Schwachsinnige» zu verwenden. Häufig wurden die Betroffenen entweder von ihren Familien versorgt oder in sogenannten Narrenhäusern oder Tollkoben untergebracht, in denen Geisteskranke wie auch Geistesschwache untergebracht wurden.
Unter den Nationalsozialisten in Deutschland erfolgten 1920 und 1945 systematische Zwangsterilisationen und Tötungsaktionen von Kranken und Menschen mit körperlicher und geistiger Beeinträchtigung, deren Leben als »unwert« eingeordnet wurde.  Im Rahmen des sog. »Euthanasie- und Gnadentodprogramms« wurde ihre Ermordung gezielt geplant, um die arische Rasse von jeglichem »Makel zu befreien«. Und noch heute sind die Folgen dieser Gräueltaten sichtbar: In Deutschland und Österreich gibt es im Vergleich zu anderen europäischen Staaten nur eine geringe Zahl von Menschen mit Beeinträchtigung, die vor dem Kriegsende 1945 geboren wurden.
Im Jahr 1958 wird durch die deutsche Elternvereinigung Lebenshilfe der Begriff «geistige Behinderung» eingeführt – nicht zuletzt mit der Absicht, die Stigmatisierungen durch die bis dahin verwendeten Begriffe zu vermeiden.
Heute werden die Begriffe «geistige Behinderung», «kognitive Behinderung» oder «kognitive Beeinträchtigung» oftmals gleichbedeutend verwendet. Wobei Betroffene häufig den Begriff Lernbeeinträchtigung vorziehen – was auch verständlich wird, wenn wir einen Blick auf die Diagnose, respektive die Diagnosesysteme werfen.

Diagnose und Diagnosesysteme
Die Wissenschaft, aber auch die Politik und Versicherungen arbeiten gerne mit eindeutigen Begriffen und Diagnosen, etwa um Vergleichsmöglichkeiten wissenschaftlicher Untersuchungen schaffen oder finanzielle Unterstützungen rechtfertigen zu können. Eine eindeutige und allgemein akzeptierte Definition davon, was eine geistige Behinderung eigentlich ist, ist jedoch schwierig. Denn diese umfasst ein weites Feld und keine einheitliche Gruppe mit fest umschreibbaren Eigenschaften.
Einig ist man sich lediglich in der Annahme, dass geistige Behinderung gekennzeichnet ist durch eine tiefere Intelligenz sowie durch eine Beeinträchtigung der sozialen Kompetenz. Grundsätzlich gibt es zwei verschiedene Sichtweisen auf geistige Behinderung:
  1. Klinisch-psychologische Sichtweise
  2. Schulisch-sonderpädagogische Sichtweise
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Die Klinisch-psychologische Sichtweise
Klinisch-psychologisch besteht das Ziel darin, international übereinstimmende Kriterien und Bezeichnungen für psychische Störungen zu erstellen, um dadurch zu einem länderübergreifend einheitlichen Verständnis beizutragen und die wissenschaftlich gewonnenen Erkenntnisse über die ganze Welt hinweg vergleichbar und anwendbar zu machen.
Für diesen Zweck wurden Klassifikationssysteme erarbeitet. Dazu gehören das ICD-10 (internationale Klassifikation psychischer Störungen) und das DSM-IV (diagnostische und statistische Manual psychischer Störungen).
Als geistig behindert gilt demnach, wer einen IQ unter einem festgelegten Wert hat. Dabei gibt es aber verschiedene Problematiken bei der Diagnose:
Die dafür festgelegten Werte im ICD-10 und im DSM-IV sind nicht deckungsgleich. Darüber hinaus sind sie sehr hoch: Im ICD-10 liegt der Wert bei 70. Dieser Wert entspricht jedoch dem Niveau der 6. Klasse, weshalb diese Definition von geistiger Behinderung eher befremdlich erscheint. Und zu Recht bestehen Menschen mit einer «geistigen Behinderung» vielfach darauf, dass sie eine Lernbehinderung haben und keine geistige Behinderung.
Weitere Problematiken ergeben sich aus der Testsicherheit: Je nach Test fällt die Einstufung anders aus und je tiefer der IQ ist, desto unzuverlässiger bzw. unzureichender ist die Aussage der Tests. Ausserdem sind zwar soziale Kompetenzen zur Charakterisierung einer geistigen Behinderung definiert, jedoch lassen sich diese nur schwer konkretisieren und diagnostisch erfassen.
Und schliesslich muss darauf hingewiesen werden, dass geistige Behinderung weder eine Krankheit noch eine psychische Störung ist. Der Widerspruch, diese dennoch in einem Klassifikationssystem für psychische Störungen zu erfassen, ergibt sich wahrscheinlich aus einer Übersetzungsproblematik.

Die schulisch-sonderpädagogische Sichtweise
Diese Sichtweise stammt, wie es der Titel bereits vermuten lässt, aus dem schulischen Bereich. Vor diesem Hintergrund wird als geistig behindert angesehen, wer über «erheblich unter der altersgemässen Erwartungsnorm liegende Lernverhaltensweisen und Lernmöglichkeiten verfügt» und nicht mehr ausreichend in einer regulären Schule gefördert werden kann. Ziel dieser Sichtweise ist, dass die Betroffenen spezielle Lernziele, Lehr- und Unterrichtsmaterialien ausserhalb der regulären Schule erhalten.
Die Problematik aufgrund dieser Diagnose und Definition besteht darin, dass ob jemand als geistig behindert gilt, in hohem Masse davon abhängig ist, wie viele Sonderschulplätze in der gegebenen Region vorhanden sind. So zeigt sich, dass es in Regionen, in denen es weniger Sonderschulen gibt, auch weniger Kinder mit einer geistigen Behinderung gibt. Was bestimmt nicht an der Anzahl der Kinder liegt.

Fazit
Beim Schreiben dieses Artikels wurde mir einmal mehr deutlich, wie sehr solche Kategorien wie «geistig behindert» künstlich konstruiert sind. Ich schliesse mich Hermann Meyer (2003) an, der Kritik an beiden Diagnosesystemen übt und schreibt: Niemand sollte als geistig behindert bezeichnet werden, weil er eine entsprechende Schule besucht hat oder in einer Behinderteneinrichtung wohnt oder arbeitet. Geistige Behinderung sollte aber auch nicht mit einer Störung oder einer klinischen Krankheit gleichgesetzt werden, wie es in den Klassifikationssystemen der Fall ist. Das bedeutet keineswegs, dass der Begriff nicht wichtig ist oder nicht mehr verwendet werden soll, aber es zeigt sehr wohl, wie wichtig es ist, stets sorgfältig und bewusst mit diesem Begriff umzugehen und auch immer wieder zu hinterfragen, ob, wo und wann er geeignet bzw. gerechtfertigt ist.
 
Literatur und Links
Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10, 2020). DIMDI. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information. Online: https://www.dimdi.de/static/de/klassifikationen/icd/icd-10-gm/kode-suche/htmlgm2020/ (letzter Zugriff am 23.9.2020)
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Meyer, Hermann (2003): Geistige Behinderung – Terminologie und Begriffsverständnis. In: Irblich, Dieter/Stahl, Burkhard (Hrsg.): Menschen mit geistiger Behinderung. Bern: Hogrefe.

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Sonja Gross

Auf dieser Seite teile ich mein Wissen zu aktuellen Theorien und Entwicklungen im Sozialbereich.
Ich unterstütze soziale Organisationen, Gemeinden und Kantone bei der Entwicklung und dem Verfassen von Konzepten und anderen Dokumenten rund um die Begleitung und Betreuung von Kindern, Jugendlichen, älteren Menschen und Erwachsenen mit einer geistigen Behinderung.
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Ich freue mich über Ihre Nachricht: sonja.gross@conceptera.ch

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Ethik in sozialen Institutionen

6/1/2021

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Elrike ist 35 Jahre alt und hat eine kognitive Beeinträchtigung. Schon seit ihrer Kindheit hat sie Angst vor Wasser und duscht aus diesem Grund nicht gerne. In den letzten Monaten hat die Abneigung gegen das Duschen stark zugenommen – Elrike weigert sich, sich unter fliessendes Wasser zu stellen. Dies führt zu strengem Körpergeruch, aber auch dazu, dass sie sich ständig am Kopf kratzt, weil es sie so juckt.
Was sollen die Fachpersonen tun? Sollen sie Elrike gegen ihren Willen duschen?

Heinz ist 85 und hat fortgeschrittene Demenz. In der Nacht wacht er oft orientierungslos auf. Dabei ist er schon mehrfach aus dem Bett gefallen und hat sich dabei verschiedene Verletzungen zugezogen.
Wäre ein Bettgitter angebracht?

Heidi ist 21 Jahre alt und hat eine kognitive Beeinträchtigung. Gerne möchte sie leben wie andere Gleichaltrige. Besonders geniesst sie es, allein mit dem Bus zu fahren. Dabei hat sie sich schon mehr als einmal verfahren und den Weg nach Hause nicht mehr gefunden. Letzte Woche ist sie von einem Auto angefahren worden, weil sie gedankenlos mitten auf der Strasse spaziert ist.
Die Eltern von Heidi fordern von der Institution, dass diese Heidi nicht mehr allein rausgehen lässt.
Wie soll die Geschäftsleitung entscheiden? 

Alle diese Beispiele haben etwas gemeinsam: Es handelt sich um ethische Dilemmata, die auf Anhieb nicht so einfach zu lösen sind. Jede Institution sieht sich früher oder später mit solchen Herausforderungen konfrontiert. Es macht deshalb Sinn, sich mit den Grundlagen ethischer Entscheidungsfindung auseinanderzusetzen und diese konzeptionell zu verankern. Mit einer solchen Handlungsgrundlage schaffen Sie Klarheit, geben dem Fachpersonal Orientierung und können ihr Handeln begründen und sich im Zweifelsfall rechtfertigen.
In diesem Artikel möchte ich Ihnen einige grundlegende Überlegungen zur Erarbeitung eines Ethikkonzeptes vorstellen. 
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Definition: Was ist Ethik?
Das Wirtschaftslexikon Gabler definiert Ethik wie folgt: «Ethik ist die Lehre bzw. Theorie vom Handeln gemäss der Unterscheidung von gut und böse.» 
Ethik stimmt nicht immer mit den Gesetzen oder der Moral überein. Die Moral beschreibt hauptsächlich Handlungen, die ein Mensch oder eine Gesellschaft von anderen Mitmenschen erwartet und sorgt damit dafür, dass Menschen ein bestimmtes Verhalten an den Tag legen. Die Moral ist stark abhängig vom jeweiligen Kulturkreis. So gilt es zum Beispiel in der Schweiz als moralisch korrekt, pünktlich zu sein.
 
Ethik (griechisch Ethos = Sitte, Charakter) ist die Lehre vom richtigen Verhalten. Im Unterschied zur Moral geht es in der Ethik darum herauszufinden und zu begründen, welche Handlungsmöglichkeit in einer bestimmten Situation die beste ist.  
Dazu muss zwischen verschiedenen Werten, Gütern, Interessen und/oder zwischen dem Anspruch konkurrierender ethischer Prinzipien abgewägt werden. Eine ethische Entscheidung sollte sich sowohl an den ethischen Prinzipien als auch an Werten und Normen der Gesellschaft orientieren. Die angewandte Ethik befasst sich mit genau dieser Herausforderung in der beruflichen Praxis.

Ethische Dilemmata in sozialen Institutionen
Ethische Dilemmata in sozialen Institutionen bewegen sich häufig im Spannungsfeld zwischen Freiheit, Selbstbestimmung und Teilhabe auf der einen und Sicherheit und Fürsorge auf der anderen Seite.
Angehörige und Institutionen sind bestrebt, dass ihren Kindern bzw. Klient*innen nichts zustösst. Sie sollen gesund sein und bleiben und sich nicht verletzen. Was wäre das wohl für ein Skandal, wenn Heidi beim Autounfall tödlich verunglückt wäre und das, obwohl doch bekannt war, dass sie nicht in der Lage war, den Verkehr adäquat einzuschätzen?
Demgegenüber steht der Wunsch von Heidi, ihr Selbstbestimmungsrecht und die Forderung der UN-Behindertenrechtskonvention auf Gleichberechtigung und Teilhabe. Einer so jungen Frau zu verbieten, sich allein fortzubewegen, wäre dies nicht massiv hinderlich für ihre Entwicklung und Lebensqualität?
Institutionen bewegen sich in diesem Spannungsfeld zwischen Verantwortung/Sicherheitsdenken und Entwicklungsförderung, in dem ethische Dilemmasituationen vorprogrammiert sind.
Von einem ethischen Dilemma spricht man, wenn sich die Handelnden mehreren, gleichermassen verpflichtenden Forderungen gegenübersehen, welche sich gegenseitig ausschliessen, so dass, egal wie man sich entscheidet, Werte, die es eigentlich zu berücksichtigen gilt, verletzt werden.
Egal welche Entscheidung man trifft – man geht ein Risiko ein und bietet Angriffsfläche für Kritik. Umso wichtiger ist es, dass Sie Ihre Entscheidungen professionell begründen können.

Ethische Prinzipien
Als Grundlage für eine ethische Entscheidungsfindung sind vor allem die 4 «Prinzipien der biomedizinischen Ethik» von Tom L. Beauchamp und James F. Childress als normative Grössen bekannt geworden.
  1. Respekt vor Selbstbestimmung = Autonomie
  2. Vermeidung von potenziellem Schaden = Nicht – Schaden
  3. Bemühung, Wohlbefinden, Sicherheit und Lebensqualität fördern = Gutes tun
  4. Suche nach einer gerechten Verteilung von Nutzen, Lasten und Aufwand = Gerechtigkeit
Curaviva, der Branchenverband der Institutionen für Menschen mit Unterstützungsbedarf, hat in seiner Publikation «Grundlagen für verantwortliches Handeln in Heimen und Institutionen» folgende 8 Grundsätze definiert:
  1. Recht auf Würde   und Achtung
  2. Recht auf Selbstbestimmung
  3. Recht auf Information
  4. Recht auf Gleichbehandlung
  5. Recht auf Sicherheit
  6. Recht auf qualifizierte Dienstleistungen
  7. Recht auf Wachstum der Persönlichkeit
  8. Recht auf Ansehen der Menschen in Heimen und Institutionen

Chancen und Grenzen eines Ethikkonzeptes
Ein Ethikkonzept kann keine Handlungsanleitungen für spezifische Situationen geben. Aber es kann durch das Festhalten allgemein gültiger Prinzipien sowie eines festgelegten Ablaufs der ethischen Entscheidungsfindung in der Institution eine Grundlage für ethisch fundierte Entscheidungen bieten. Damit gibt es dem Fachpersonal Sicherheit und Orientierung, dient als Informationsquelle und Argumentarium gegenüber Klient*innen, Angehörigen und Dritten, dient als zentrales Instrument zur Qualitätssicherung und -weiterentwicklung und ist ein Zeichen für aussenstehende Personen, dass die Institution sich verantwortungsvoll, professionell und transparent mit ethischen Fragestellungen auseinandersetzt.
 
Literatur und Tipps
Beauchamp, T. L. & Childress, J. F.: Principles of Biomedical Ethics. 6th Edition. Oxford University Press 2008

Curaviva (2010): Grundlagen für verantwortliches Handeln in Heimen und Institutionen. Online: www.curaviva.ch.

Schmid, Peter (2011): EPOS – ethische Prozesse in Organisationen im Sozialbereich. Luzern, Curaviva.
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Sonja Gross ​

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Zusammenarbeit mit Angehörigen in Alters- und Pflegeheimen

2/11/2020

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Jede Institution sollte sich Gedanken machen und eine fundierte Haltung entwickeln bezüglich ihrer Zusammenarbeit mit den Angehörigen der Klient*innen.
Was sind die Ziele? Was zeichnet gelungene Angehörigenarbeit aus? Wie und durch wen wird sie gestaltet?
Gelungene Angehörigenarbeit trägt massgeblich bei zur Gesundheit der Klient*innen, Anzahl der Neukund*innen sowie zur Zufriedenheit der Mitarbeitenden.
 
Im Umkehrschluss ist eine misslungene Angehörigenarbeit zum Beispiel daran erkennbar, dass die Angehörigen weniger oder nicht zu Besuch kommen, die Angehörigen die Mitarbeitenden nicht ansprechen, viele Beschwerden reinkommen, die Mitarbeitenden schlecht über die Angehörigen sprechen und schliesslich das Image der Institution leidet. 
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 Bedeutung der Angehörigen
Zu den Angehörigen zählen zum Beispiel die (Ehe-)Partner*innen der Klient*innen, ihre Kinder, Enkelkinder, Geschwister und weitere Verwandte sowie andere Personen, die mit der Person eng verbunden sind.
Diese Personen sind für die Klient*innen oftmals das Bindeglied zwischen der jetzigen Lebenswelt und ihrem früheren, vertrauten Leben. Die Kontinuität dieser Beziehung(en) gibt den Bewohnenden emotionale Sicherheit.
Des Weiteren verfügen die Angehörigen durch die langjährigen Beziehungen über viele Kenntnisse und über den Klienten oder die Klientin, die eine wertvolle Ressource darstellen und wichtige und hilfreiche Hinweise für die Pflege und Betreuung des Bewohnenden geben.
Gerade dieses vertiefte Wissen und das hohe Engagement bergen aber auch viel Konfliktpotenzial.
Ungelöste Konflikte schaden nicht nur der Reputation bzw. dem Image der Institution, sondern wirken sich auch mittelbar emotional auf die betroffenen Klient*innen aus. Dies kann sich beispielsweise ausdrücken in Verhaltensauffälligkeiten, Wut oder Depressionen. Gelingt es, die Konflikte gemeinsam anzugehen und zu lösen, kann dies massgeblich zur qualitativen Weiterentwicklung und Professionalisierung der Institution beitragen.
Alles gute Gründe, sich proaktiv mit dem Thema Angehörigenarbeit auseinanderzusetzen und wichtige Grundlagen für Struktur und Prozess festzuhalten.
 
Im Folgenden möchte ich Ihnen einige Themen in Bezug auf Angehörigenarbeit vorstellen, die es sich, aus meiner Sicht, lohnt, näher zu erläutern.

Zugrundeliegende Haltung
Was ist für Sie die zugrundeliegende Haltung?
Was erwarten Sie von Ihren Mitarbeitenden, aber auch von den Angehörigen in Bezug auf die Zusammenarbeit?
Hier gibt es viele verschiedene Ansätze aus der Kommunikationslehre, die in Betracht gezogen werden können. Zum Beispiel: Offenheit, Einfühlungsvermögen, Respekt, Transparenz, Achtsamkeit, Lösungsorientierung oder aktives Zuhören.
Auch wenn sich alle sehr überzeugend und gleichermassen wichtig anhören, macht es durchaus Sinn, sich auf 1 bis 3 Schwerpunkte festzulegen, um diese als Basis für Weiterbildungen, Rückmeldungen im Team, Mitarbeiterziele, aber auch für die Information an die Angehörigen zu verwenden.
 
Information der Angehörigen
Eine der wichtigsten Voraussetzungen für gelingende Zusammenarbeit ist eine funktionierender gegenseitiger Austausch von Information. Durch regelmässigen Informationsaustausch kann Missverständnissen vorgebeugt werden und eine positive Vertrauensbasis geschaffen werden. Nicht nur über die finanziellen Bedingungen, sondern auch über viele weitere Rahmenbedingungen wie Gestaltungsmöglichkeiten, Erwartungen, Zuständigkeiten, Alltagsabläufe sollte transparent Auskunft gegeben werden. Es gilt also sich zu überlegen, auf welchem Weg die Angehörigen worüber und in welchen Abständen informiert werden.
Die Hauptfragen dazu lauten:
  • Welche Informationen müssen weitergegeben werden?
  • Welche Kanäle sollen dafür genutzt werden?
  • Wer ist verantwortlich?
  • Innerhalb von welchem Zeitraum sollen Informationen weitergegeben werden?
Insbesondere nach dem Eintritt ist eine zuverlässige und lückenlose Information von grosser Bedeutung. Hier lohnt es sich, einen Prozess oder eine Checkliste anzufertigen.
 
Als Medien für die Informationsweitergabe bieten sich unter anderem folgende Mittel an:
  • Informationsbroschüre
  • Zusammenarbeitsvertrag zwischen Angehörigen, Klient*in und der Institution
  • Einführungskurse für «neue» Angehörige: Aufklärung über den Heimalltag und die Heimstrukturen, Ansprechen ihrer Befindlichkeit, Infos über therapeutische/seelsorgerische Angebote sowie die Mitwirkungsmöglichkeiten
  • Jährliche Informationsveranstaltungen
  • Sprechstunden bei einzelnen Mitarbeitenden, bei Abteilungs- und/oder Geschäftsleitung einrichten, zu denen Angehörige kommen dürfen
  • Newsletter
  • Webseite, eventuell mit Log-in-Bereich
 
Wichtig ist immer die zielgruppenadäquate Kommunikation. Die Ausdrucksweise, egal ob mündlich oder schriftlich, sollte unbedingt den Möglichkeiten der Angehörigen angepasst werden.

Gegenseitiger Informationsaustausch, Kontakt-/ Beziehungspflege
Eine gute Zusammenarbeit setzt allerdings einen beidseitigen Informationsaustausch voraus. Insbesondere beim Eintritt lohnt es sich bei den Angehörigen systematisch Informationen abzuholen und zu dokumentieren. Dabei handelt es sich allerdings um einen stetigen Prozess, der danach nicht abgeschlossen ist und im Alltag weitergelebt werden muss.
Um dies zu gewährleisten sind verschiedene Massnahmen denkbar, zum Beispiel:

  • Jahres- und Standortgespräche
  • Regelmässige Einladungen der Angehörigen auf die Wohngruppe zum Essen oder anderen Veranstaltungen
  • Schriftliche Befragungen
  • Oder auch informelle Tür- und Angelgespräche bei den Besuchen
 
Eine weitere Möglichkeit, insbesondere in Institutionen, in denen kein Bewohner*innenrat zustande kommt, beispielsweise aufgrund einer hohen Demenzrate, ist die Gründung eines Angehörigenbeirats. In diesem dienen freiwillige Angehörige als Ansprechpartner*innen für andere Angehörige, indem sie beispielsweise eine «Patenschaft» für neue Angehörige übernehmen. Ausserdem dienen sie als Vermittler bei Konflikten oder können Selbsthilfegruppen organisieren.
 
Beschwerdemanagement
Zu Beginn dieses Artikels habe ich darauf hingewiesen, wie negativ sich Spannungen und Konflikte sowohl auf die Bewohnenden als auch auf die gesamte Institution auswirken können. Durch einen gut geregelten Umgang mit Anliegen und Beschwerden können Konflikte frühzeitig aufgelöst werden und das Entwicklungspotenzial, das für die Institution daraus entsteht, genutzt werden.
Das Beschwerdemanagement sollte möglichst einsetzen, bevor sich die Situation verschärfen kann. Voraussetzung hierfür ist offen zu sein für Kritik und für eine positive Fehlerkultur. Die Institution muss ausdrücklich festhalten und darüber informieren, dass Kritik gewünscht ist und die Haltung vertreten, dass niemand perfekt ist und Fehler passieren können und sogar müssen, um sich weiterzuentwickeln. Auch sollte betont werden, dass es nicht darum geht nach Schuldigen, sondern nach guten Lösungen zu suchen.
Für ein gelingendes Beschwerdemanagement sollte ausserdem transparent für beide Seiten festgehalten werden:
  • Wer ist die Ansprechperson? Wer nimmt die Beschwerden entgegen?
  • Wer bearbeitet sie?
  • In welchem Zeitraum werden sie bearbeitet?
  • Wie erfolgt die Rückmeldung?

Schulung des Personals
Damit die im Konzept festgehaltenen Überlegungen im Alltag gelebt werden können, muss das Personal mitziehen. Dazu empfiehlt sich eine solide Einführung und Schulung des Personals im Umgang mit Angehörigen, im Umgang mit Kritik und Beschwerden, den Rollen und Verantwortlichkeiten sowie der Gesprächsführung.

Quellen und Literatur
Daneke, Sigrid (2010): Achtung, Angehörige! Kommunikationstipps und wichtige Standards für Pflege- und Leitungskräfte. Hannover: Schlütersche.
 
Ugolini, Bettina (2014): Umgang mit Angehörigen: Wie Institutionen der Alterspflege wertschätzend mit Wünschen, Anliegen und Beschwerden von Angehörigen umgehen können – ein Leitfaden. Bern: Curaviva.

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Sonja Gross

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Weiterbildung Konzeptarbeit in sozialen Institutionen

12/10/2020

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Ein Konzept umschreibt die Grundvorstellung der agogischen Arbeit in einer Werkstätte und schafft Klarheit darüber, was auf welchem Weg erreicht werden soll. Es macht die agogische Arbeit transparent und nachvollziehbar, dient als gemeinsame Grundlage und gibt dem Fachpersonal Orientierung.
Träger, Angehörige, Netzwerkpartner und die weitere Öffentlichkeit werden darin ausserdem über das besondere Profil informiert. Das vermittelt Sicherheit und schafft Vertrauen.

Wie wird ein Konzept entwickelt? Was sollte bei der Verschriftlichung beachtet werden? Welche Schritte sind notwendig zur erfolgreichen Umsetzung?
Diese und weitere Fragen werden wir an diesem Seminartag gemeinsam anschauen.
Inhalte der Weiterbildung
  • Einstieg in die Konzeptarbeit und Vermittlung von Basiswissen zur Konzeptentwicklung
  • Analyse von Best-Practice-Beispielen
  • Zielgruppenanalyse
  • Zusammenstellung der Arbeitsgruppe  
  • Partizipation von Klient*innen
  • Konzeptinhalt und -aufbau
  • Sprachliche Formulierung
  • Implementierung
 
Ziele 
Die Teilnehmenden
  • wissen was ein erfolgreiches Konzept ausmacht
  • erlangen Wissen über die Konzeptentwicklung
  • lernen verschiedene Möglichkeiten kennen ein Konzept aufzubauen
  • wissen, wie sie ein Konzept zielgruppenadäquat verfassen
  • erarbeiten einen Plan zur Erstellung, Implementierung und Überprüfung des Konzeptes
 
Zielpublikum
  • Fachpersonen und Führungskräfte, die ein Konzept verfassen oder weiterentwickeln möchten

Anmeldung
​Anmelden können Sie sich auf der Webseite des Instituts für Arbeitsagogik, IFA oder buchen Sie die Weiterbildung als Inhouse-Schulung direkt bei Conceptera.
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Leitung Sonja Gross

Master in Erziehungswissenschaften und Psychologie an der Universität Zürich
Geschäftsführerin Conceptera GmbH - mehrjährige Erfahrung in der Entwicklung von Konzepten, Angebotsbeschreibungen und Prozessen in sozialen Organisationen

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Zusammenarbeit mit Angehörigen in Behinderteninstitutionen

15/9/2020

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Die Zusammenarbeit mit Angehörigen stellt die Mitarbeitenden und die Institutionsleitung in Einrichtungen für erwachsene Menschen mit einer Behinderung immer wieder vor Herausforderungen. Denn häufig findet die Zusammenarbeit statt in einem Spannungsfeld zwischen Mitbestimmung der Angehörigen, welche oftmals auch die rechtlichen Vertretungen sind, und der Selbstbestimmung der Klient*innen.
Oftmals ist die Beziehung zu den Eltern sehr eng und es ist eine Herausforderung, diese nach ihren Vorstellungen einzubeziehen und gleichzeitig die Privatsphäre und die Wünsche der Klient*innen zu respektieren.
 
Umso wichtiger ist ein fundiertes Konzept, an dem sich sowohl die Mitarbeitenden als auch die Angehörigen, rechtlichen Vertretungen sowie die Klient*innen orientieren können. Dieses dient als Grundlage für die Zusammenarbeit und klärt die Ziele, Haltungen und Rahmenbedingungen.
Leider gibt es, anders als im Alters- und Pflegebereich, aber kaum spezifische Literatur, Handlungsempfehlungen oder Standards, an denen man sich hierbei orientieren könnte. Mit diesem Artikel möchte ich dazu beitragen, diese Lücke zu füllen. 
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Bedeutung der Angehörigen bzw. rechtlichen Vertretungen
Zu den Angehörigen zählen die Eltern, aber auch Geschwister und weitere Verwandte sowie andere Personen, die mit der Klientin oder dem Klienten eng verbunden sind. Oftmals übernehmen Angehörige wie bereits erwähnt eine Doppelfunktion, indem sie gleichzeitig auch die rechtliche Vertretung sind.
Sie verfügen durch ihre langjährige Erfahrung über viele Kenntnisse und Kompetenzen über die Klientin oder den Klienten, die eine wertvolle Ressource darstellen und hilfreiche Hinweise für die Begleitung und Betreuung darstellen. Eine gute Zusammenarbeit zeichnet sich dadurch aus, dass dieses Wissen optimal zugunsten der Klientin oder des Klienten eingesetzt werden kann unter gleichzeitiger Berücksichtigung seiner oder ihrer Wünsche und Privatsphäre.
Häufig ist dies ein Balanceakt, denn das Wissen und das oftmals damit verbundene hohe Engagement bergen auch viel Konfliktpotenzial. Ungelöste Konflikte schaden nicht nur der Reputation bzw. dem Image der Institution, sondern wirken sich auch mittelbar emotional auf die betroffenen Klient*innen aus. Dies kann sich beispielsweise ausdrücken in Verhaltensauffälligkeiten, Wut oder Depressionen. Gelingt es, die Konflikte gemeinsam anzugehen und zu lösen, kann dies massgeblich zur qualitativen Weiterentwicklung und Professionalisierung der Institution beitragen.
 
Alles gute Gründe, sich proaktiv mit dem Thema Angehörigenarbeit auseinanderzusetzen und wichtige Grundlagen für Struktur und Prozess festzuhalten. 

Austausch und Kontaktpflege
Viele Überlegungen sind analog der Angehörigenarbeit im Alters- und Pflegebereich. Ich fasse sie im Folgenden nochmals kurz zusammen:
 
Zugrundeliegende Haltung
Es lohnt sich, die zugrundeliegende Haltung zu definieren.
Was erwarten Sie von Ihren Mitarbeitenden, aber auch von den Angehörigen in Bezug auf die Zusammenarbeit?
 
Information der Angehörigen bzw. rechtlichen Vertretungen
Des Weiteren ist es wichtig festzulegen, welche Informationen auf welchem Weg durch wen und innerhalb von welchem Zeitraum weitergegeben werden.
 
Gegenseitiger Informationsaustausch, Kontakt-/ Beziehungspflege
Eine gute Zusammenarbeit setzt Informationsaustausch in beide Richtungen voraus. Insbesondere beim Eintritt lohnt es sich, bei den Angehörigen systematisch Informationen abzuholen und zu dokumentieren. Dabei handelt es sich allerdings um einen stetigen Prozess, der danach nicht abgeschlossen ist und im Alltag weitergelebt werden muss.
Um dies zu gewährleisten, sollten entsprechende Massnahmen und Verantwortlichkeiten festgelegt werden.
 
Beschwerdemanagement
Ein geregeltes Beschwerdemanagement ist zentral, um Konflikte und Spannungen frühzeitig zu lösen und Rückmeldungen konstruktiv zur Weiterentwicklung der Institution nutzen zu können.
Der Prozess und die Verantwortlichkeiten im Beschwerdemanagement sollten transparent und verständlich festgehalten und den Angehörigen bzw. rechtlichen Vertretungen, aber auch den Mitarbeitenden kommuniziert werden. 

Einbezug und Mitbestimmung
Voraussetzung für das Gelingen der Zusammenarbeit ist die Klärung von Erwartungen und Verantwortlichkeiten:
Wie viel Mitbestimmung ist gewünscht? Wo und in welchem Rahmen dürfen Angehörige bzw. rechtliche Vertretungen mitbestimmen? Wo ist die Grenze?
 
Basis dieser Klärung sollte immer der rechtliche Rahmen sein. Zu diesem gehört das aktuelle Erwachsenenschutzgesetz (im Zivilgesetzbuch, ZGB), das seit 1. Januar 2013 in Kraft ist. Es regelt die behördlichen Massnahmen zum Schutz von erwachsenen Personen, die hilfs- oder schutzbedürftig sind.
 
Insbesondere folgende Punkte sind ausschlaggebend:
 
Urteilsfähigkeit
Bei Fragen und Entscheidungen, in denen der Klient oder die Klientin urteilsfähig ist, entscheidet er oder sie grundsätzlich selbst. Der Klient oder die Klientin entscheidet auch darüber, ob und inwiefern die rechtliche Vertretung oder die Angehörigen einbezogen werden sollen.
 
Definierte Beistandschaft
Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde, KESB, errichtet dann eine Massnahme, wenn eine Person nicht in der Lage ist, ihre Angelegenheiten selbst zu besorgen. Dabei wird immer die Wahrung der grösstmöglichen Selbstbestimmung beabsichtigt. Aus diesem Grund werden 4 verschiedene Arten von Beistandschaft unterschieden und darüber hinaus bestimmte Themenbereiche festgelegt, so dass die Massnahme auf die Unterstützungsbedürfnisse der jeweiligen Person abgestimmt ist.
Eine Beistandschaft kann von Angehörigen oder von Professionellen übernommen werden. Diese werden als rechtliche Vertretung bezeichnet. In welchen Angelegenheiten die rechtliche Vertretung unterstützend begleitet oder die Klientin oder den Klienten vertritt, wird im Dispositiv festgehalten.
 
Höchstpersönliche Rechte
Es gibt höchstpersönliche Rechte, die «einer Person um ihrer Persönlichkeit willen zustehen». Diese Rechte können auch von handlungsunfähigen Personen, zum Beispiel von Personen mit einer umfassenden Beistandschaft oder von minderjährigen Personen, wahrgenommen werden, falls sie urteilsfähig sind. Unter diese höchstpersönlichen Rechte fällt zum Beispiel, das Recht …:
  • … über die religiöse Zugehörigkeit zu entscheiden
  • … medizinischen Behandlungen zuzustimmen
  • … zur Eheschliessung und zur Einreichung einer Ehescheidungsklage
  • … ein Testament zu errichten, zu widerrufen oder einen Erbvertrag abzuschliessen
  • … ein Kind anzuerkennen
  • … auf Sexualität
  • … auf das eigene Foto
 
Die rechtliche Vertretung ist bei solchen Angelegenheiten nicht berechtigt, in Vertretung einer urteilsfähigen Person zu handeln. Ausnahmen können sich höchstens in Notfällen zum Schutz der Person oder Dritter ergeben (z. B. eine medizinisch notwendige Operation) oder bei Kindern bis 18 Jahren auch aus überwiegend erzieherischen Gründen.
 
Datenschutz und Schweigepflicht
Mitarbeitende sowie die Leitung einer Institution unterstehen der Schweigepflicht. Für einen Informationsaustausch mit Angehörigen bzw. der rechtlichen Vertretung muss eine der folgenden Voraussetzungen erfüllt sein:
  • Die Klientin oder der Klient ist urteilsunfähig und die betreffende Angelegenheit liegt offiziell (gemäss Dispositiv) im Zuständigkeitsbereich der rechtlichen Vertretung.
  • Die Klientin oder der Klient stimmt dem Informationsaustausch mit den Angehörigen über die entsprechende Angelegenheit ausdrücklich zu.
 
Die Klient*innen stehen im Mittelpunkt
Ist der Klient oder die Klientin einer bestimmten Angelegenheit urteilsfähig, dann entscheidet immer sie oder er selbst über die Angelegenheit!
Ein Informationsaustausch findet nur statt, wenn die Klientin oder der Klient das möchte.
Ausnahmen werden dann gemacht, wenn dienstlich gewonnene Kenntnisse ein Tätigwerden der KESB zum Schutz der Klientin oder des Klienten oder einer dritten Person notwendig machen.

Schulung des Personals
Damit die im Konzept festgehaltenen Überlegungen im Alltag gelebt werden, muss das Personal über das notwendige Wissen verfügen und die Haltung verinnerlicht haben. Dazu empfiehlt sich eine solide Einführung und Schulung des Personals im Umgang mit Angehörigen, im Umgang mit Kritik und Beschwerden, den Rollen und Verantwortlichkeiten, der Gesprächsführung und den rechtlichen Rahmenbedingungen.
 
Conceptera bietet zu diesen Themen auch In-House-Schulungen an, die speziell auf Ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind.

Literatur
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Daneke, Sigrid (2010): Achtung, Angehörige! Kommunikationstipps und wichtige Standards für Pflege- und Leitungskräfte. Hannover: Schlütersche.
 
Ugolini, Bettina (2014): Umgang mit Angehörigen: Wie Institutionen der Alterspflege wertschätzend mit Wünschen, Anliegen und Beschwerden von Angehörigen umgehen können – ein Leitfaden. Bern: Curaviva.

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Gute Betreuung in Altersheimen

17/8/2020

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Von der Pflege zu «Pflege und Betreuung»
«Xund, satt, suuber» – Altersheime haben ihre Leistung lange Zeit danach ausgerichtet. Die Pflege stand im Zentrum und es wurde davon ausgegangen, dass es einer Person gut geht, wenn man sie rundum versorgt und sich gut um sie kümmert.
Die Anforderungen haben sich aber, ebenso wie die Definition von Lebensqualität gewandelt. Für eine gute Lebensqualität braucht es mehr als körperliche Versorgung, denn nebst dem körperlichen Wohlbefinden ist auch das psychosoziale Wohlbefinden von grosser Bedeutung. Deshalb reicht heute Pflege allein nicht mehr aus und es braucht Pflege und Betreuung.
«Um auch im Alter selbstbestimmt und gesund zu leben und am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können, müssen Betagte auf Betreuungs- und auf Pflegeleistungen zählen können» (Pardini, Heinzmann, Knöpfel 2020, S. 5).
Neben der körperlichen Gesundheit haben Aspekte wie Selbstbestimmung und Teilhabe an Bedeutung gewonnen. Dazu sind vermehrt Betreuungs- und Begleitleistungen, wie sie in Institutionen aus dem Behindertenbereich erbracht werden, gefragt.
Was bedeutet Betreuung im Kontext von Alters- und Pflegeheimen? Und was macht eine «gute Betreuung» in Alters- und Pflegeheimen aus?
Diese Fragen sollen im Folgenden näher beleuchtet werden. 
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Was bedeutet Betreuung im Kontext von Alters- und Pflegeheimen?
In diesem Zusammenhang interessant sind zwei Grundlagenpapier, die im März und Mai 2020 von der Fachhochschule Nordwestschweiz im Rahmen einer Studie der Paul Schiller Stiftung veröffentlicht wurden. Im ersten Grundlagenpapier gehen die Autor*innen Riccardo Pardini, Claudia Heinzmann und Carlo Knöpfel dem Begriff «Betreuung» im Kontext Alter auf den Grund. Anhand von Literatur- und Internetrecherche untersuchen sie diesen Begriff in Abgrenzung zu weiteren relevanten Begriffen im Altersbereich wie «Care- und Sorgearbeit» oder «Hilfe und Alltagsassistenz».
Betreuung bedeutet ältere Menschen zu unterstützen, wenn sie ihre Bedürfnisse im Alltag aufgrund ihrer Lebenssituation und einer Beeinträchtigung nicht mehr gemäss ihren Vorstellungen selbstständig erfüllen können. Dazu gehört gleichermassen emotionale Unterstützung wie das Zuhören, das Ermöglichen von sozialer Teilhabe oder Unterstützung bei der Alltagsbewältigung wie Waschen, Einkaufen oder Begleit- und Fahrdienste. Die Palette ist breit, denn fast jede unterstützerische Tätigkeit kann Betreuung beinhalten. Im Unterschied zur Pflege ist Betreuung eine Form von Unterstützung, die zum Ziel hat, den Klient*innen trotz ihrer Einschränkungen zu ermöglichen, ihren Alltag selbstständig gestalten sowie am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Selbstbestimmtheit, Wohlbefinden und innere Sicherheit sind zentrale Ziele von Betreuung.

Was ist «gute Betreuung»?
Schon bei der Definition von Betreuung kam zum Ausdruck, worauf diese abzielt. Gute Betreuung rückt neben der physischen Gesundheit die «Funktionale Gesundheit» ins Zentrum. Das Modell der «Funktionalen Gesundheit», entwickelt von der WHO, bildet das komplexe Zusammenspiel zwischen den unterschiedlichen Faktoren in Bezug auf Gesundheit bzw. Beeinträchtigung und Krankheit ab. Es wird davon ausgegangen, dass die Gesundheit nicht nur vom Körper einer Person abhängt, sondern das Ergebnis verschiedener Wechselwirkungen mit der Umwelt darstellt. Gesundheit ist demnach nicht nur das reibungslose Funktionieren des Körpers, sondern beinhaltet auch Aktivität und Teilhabe an der Gesellschaft. Eine gute Betreuung berücksichtigt deshalb nebst dem Erhalt und der Förderung der körperlichen und geistigen Fähigkeiten auch die Lebenswelt und zielt darauf ab, älteren Menschen die Möglichkeit zu geben, ihr Leben möglichst selbstbestimmt und selbstständig zu gestalten sowie an normalen Aktivitäten und an der Gesellschaft teilzuhaben.
Erwin Böhme beobachtete und proklamierte bereits in den 1990er Jahren, dass es für die Lebensqualität älterer Menschen zentral ist, die Selbstpflege und Selbstfürsorge solange wie möglich zu erhalten bzw. wiederherzustellen. Gute Betreuung sollte also auf «Hilfe zur Selbsthilfe» abzielen.
Allerdings sind nicht alle Aspekte von Lebensqualität universal. Lebensqualität ist subjektiv: Während für die einen ein guter Röstkaffee am Morgen Lebensqualität bedeutet, bedeutet es für die anderen regelmässig zu jassen, Sexualität zu leben oder ans Meer zu fahren. Gute Betreuung kann deshalb nicht für jede Person gleich definiert werden. Stattdessen richtet sie sich an den Bedürfnissen der Person aus.

7 Leitlinien für die Umsetzung
In ihrem zweiten Grundlagenpapier gehen die Autor*innen folgender Frage nach: «Wie muss Betreuung im Alter aus ethischer und menschenrechtlicher Perspektive aussehen?»
Ihre Ergebnisse fassen sie in 7 Leitlinien, die als Anhaltspunkte für die Umsetzung «guter Betreuung» dienen sollen, zusammen. Die Leitlinien umfassen folgende Punkte:
  1. Anerkennung der Menschenwürde und Menschenrechte
    Die ältere Person soll unabhängig ihrer Lebensumstände, Beeinträchtigungen oder Fähigkeiten als Individuum anerkannt und respektiert sowie ihre Rechte geschützt werden.

  2. Ganzheitlichkeit
    Die ältere Person soll ganzheitlich, als soziales Wesen mit individuellen Fähigkeiten, Wünschen und Bedürfnissen, vor dem Hintergrund ihrer eigenen, einzigartigen Lebenswelt wahrgenommen werden.

  3. Haltungsfrage
    Gute Betreuung steht und fällt mit der verinnerlichten Haltung der Fachpersonen. Orientieren sie sich primär an den Ressourcen? Welches Menschenbild vertreten sie?

  4. Beziehungspflege
    Vertrauen ist Voraussetzung für gelingende Betreuung. Dazu ist eine kontinuierliche Pflege der Beziehung unabdingbar.

  5. Bedürfnisorientierung
    ​Die Betreuung richtet sich aus an den Wünschen und Bedürfnissen der älteren Person.

  6. Zeit
    Gute Betreuung bedeutet, sich Zeit zu nehmen.

  7. Gemeinschaftsaufgabe
    Eine kooperative Zusammenarbeit aller Personen im System des Bewohnenden ist Voraussetzung für eine gute Betreuung.

Pflege und Betreuungskonzept
Selbstbestimmung, Teilhabe, Partizipation, Ganzheitlichkeit, Funktionale Gesundheit, Systemische Sichtweise und Bedürfnisorientierung sind zusammengefasst einige der Grundpfeiler für die Betreuung von älteren Menschen.
Mit – neben der Pflege – zunehmender Wichtigkeit der Betreuung steigen auch die Komplexität sowie die Anforderungen an die Fachpersonen.
Nicht nur gelerntes medizinisches Wissen, sondern eine gemeinsame Haltung im Umgang mit den Klient*innen ist gefragt. Dies kann zu Verunsicherung, aber auch zu Konflikten und Unzufriedenheit im Fachteam führen. Es lohnt sich deshalb, die Grundsätze und Ausrichtung der Pflege und Betreuung in einem Konzept festzuhalten sowie fundiert einzuführen, damit alle an einem Strang ziehen. Dies führt nicht nur zu einer höheren Lebensqualität für die Bewohnenden, sondern auch für die Fachpersonen!

Literatur und Tipps
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Böhm, Erwin (2009): Psychobiografisches Pflegemodell nach Böhm. Wien: Maudrich.

CURAVIVA (2014): Lebensqualitätskonzeption. Für Menschen mit Unterstützungsbedarf. Bern: https://www.curaviva.ch/files/P9VUIZ0/lebensqualitaetskonzeption__curaviva_schweiz__2017.pdf  oder
https://www.curaviva.ch/Dienstleistungen/Verlag/PRO3p/?id=2FC538A0-89CB-4B1D-852A432EB6223D56&method=objectdata.detail&p=1&callerid=&keyword=Lebensqualit%C3%A4tskonzeption (Zugriffsdatum 17.8.2020).

Knöpfel, Carlo/Pardini, Riccardo/Heinzmann, Claudia (2020): Wegweiser für gute Betreuung im Alter. Grundlagenpapier 1: Was ist Betreuung im Alter? Fachhochschule Nordwestschweiz, Hochschule für Soziale Arbeit.

Knöpfel, Carlo/Pardini, Riccardo/Heinzmann, Claudia (2020): Wegweiser für gute Betreuung im Alter. Grundlagenpapier 2: Wie muss Betreuung im Alter aus ethischer und menschenrechtlicher Perspektive aussehen? Fachhochschule Nordwestschweiz, Hochschule für Soziale Arbeit.

Knöpfel, Carlo/Pardini, Riccardo/Heinzmann, Claudia (2018): Gute Betreuung im Alter in der Schweiz. Zürich: Seismo Verlag.
​
Schuntermann, Michael F. (2013): Einführung in die ICF. Grundkurs – Übungen – offene Fragen. Heidelberg u. a.: Ecomed Medizin.
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Sonja Gross

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Ich unterstütze soziale Organisationen und Gemeinden bei der Entwicklung und dem Verfassen von Konzepten und anderen Dokumenten rund um die Begleitung und Betreuung von Kindern, Jugendlichen, älteren Menschen und Erwachsenen mit einer geistigen Behinderung.
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Richtig gendern – Handlungsempfehlung für soziale Organisationen

9/6/2020

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Klientinnen und Klienten, Klient*innen, Klient/innen oder Klient_innen – wie denn nun? Die gendergerechte Schreibweise hat in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen und inzwischen gibt es unzählige Varianten, gendergerecht zu schreiben. Kein Wunder, dass man dabei schnell den Überblick verlieren kann. In diesem Artikel stelle ich Ihnen die verschiedenen Varianten gendergerechter Schreibung sowie ihre Vor- und Nachteile vor und geben Empfehlungen für die Praxis in sozialen Institutionen.  
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Was ist gendergerechte Sprache?
Gendergerechte Sprache bezeichnet eine Sprache, in der die Gleichstellung der Geschlechter zum Ausdruck kommt.
Früher wurde ausschliesslich in der männlichen Form geschrieben und gesprochen – zum Beispiel «die Klienten» oder «die Betreuer». Damit wurden Frauen sprachlich nicht sichtbar gemacht und damit  oftmals auch gedanklich nicht gleichberechtigt miteinbezogen.
Dies ist heute nicht mehr zeitgemäss und gilt teilweise gar als unhöflich und kann sogar missverständlich sein (sind tatsächlich nur männliche Bewohnende gemeint oder auch weibliche?).
Dies zeigt, dass Sprache nichts Statisches ist, sondern sich gesellschaftliche Veränderungen auf diese auswirken können. Gleichzeitig ist Sprache wiederum nicht nur Ausdruck gesellschaftlicher Veränderungen und Machtverhältnisse, sondern sie prägt diese umgekehrt auch massgeblich. Denn Sprache beeinflusst – bewusst oder unbewusst – unsere Wahrnehmung, unser Denken und unser Handeln. Deshalb wird von Seiten der Wissenschaft und Politik Wert daraufgelegt, gendergerecht zu schreiben. Der Hinweis «Der Einfachheit halber wird im folgenden Text nur die männliche Form verwendet, weibliche Personen sind mitgemeint»  (also die alleinige Verwendung des sog. generischen Maskulins) ist dazu nicht ausreichend.
Im Folgenden möchte ich Ihnen verschiedene Möglichkeiten gendergerecht zu schreiben darlegen sowie deren Vor- und Nachteile aufzeigen, um Ihnen eine Empfehlung abzugeben für eine einheitliche Handhabung gendergerechter Schreibungen in Ihrer Institution oder Gemeinde.

Übersicht über die Varianten gendergerechter Schreibweise sowie deren Vor- und Nachteile
Die folgende Tabelle vermittelt einen Überblick über die gängigsten gendergerechten Schreibweisen. Sie ist unterteilt in die ausgeschriebenen Paarformen, bei denen beide Geschlechter explizit angesprochen werden, in abgekürzte Varianten, bei denen die männliche und die weibliche Form im selben Wort getrennt werden und zuletzt in Varianten, in denen die Geschlechtervielfalt abgebildet wird. Diese sprechen nicht nur männliche oder weibliche Personen, sondern auch Personen weiterer Geschlechter und Zwischenformen an.
Daneben gibt es noch weitere Formen wie beispielsweise das generische Femininum. Bei diesem wird immer die weibliche Form geschrieben und davon ausgegangen, dass die männliche Wortform in der weiblichen enthalten ist. Auf diese werde ich in diesem Beitrag nicht weiter eingehen.
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1. Ausschreiben
«Die Klientinnen und die Klienten haben die Möglichkeit, aus verschiedenen Menüs zu wählen.»
Die wahrscheinlich bekannteste und eine der einfachsten Varianten ist, beide Geschlechter auszuschreiben und mit einem «und», «oder» oder «sowie» zu verbinden.
In manchen Sprachleitfäden wird festgehalten, dass stets die weibliche vor der männlichen Wortform zu nennen sei. Dies wird auch Titanic-Prinzip genannt, im Sinne von «Frauen und Kinder zuerst!». Dagegen spricht, dass die Frauen damit als das schwächere Geschlecht angesehen werden. Eine andere Möglichkeit ist es, abwechselnd einmal die männliche und ein andermal die weibliche Wortform zuerst zu nennen. Die Vor- und Nachteile sind hier zusammengefasst:​
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2. Ausschreiben mit Schrägstrich
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«Die Klientinnen/die Klienten haben die Möglichkeit, aus verschiedenen Menüs zu wählen.»
Eine andere Möglichkeit beide Geschlechter auszuschreiben, ist die Trennung mit Bindestrich. Diese Variante empfehle ich nicht, da es den Lesefluss negativ beeinflusst und in barrierefreien PDFs schlecht übersetzt wird.
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 3. Binnen-I
«Die KlientInnen haben die Möglichkeit, aus verschiedenen Menüs zu wählen.»
Das Binnen-I ist eine pragmatische und kurze Form, um beide Geschlechter anzusprechen. Früher wurde das Binnen-I vom Duden strikt abgelehnt. Seit 2008 heisst es im Duden nur noch, dass das Binnen-I in der amtlichen Rechtschreibung nicht ausdrücklich vorgesehen ist.
Die Schwierigkeit besteht darin, dass es – wie alle abgekürzten Varianten – manchmal zu inkorrekten Wortformen führt. Möchten Sie beispielsweise schreiben:
«Im Zimmer vom KlientenIN … » dann kommen Sie mit dieser Variante an eine Grenze. Die Lösung ist, in diesem Fall entweder beide Formen auszuschreiben – «Im Zimmer von der Klientin oder vom Klienten… » –, oder das Wort zu substantivieren: «In den KlientInnenzimmern…».
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 4. Trennung mit Schrägstrich
«Die Klient/innen haben die Möglichkeit, aus verschiedenen Menüs zu wählen.»
Eine weitere pragmatische und kurze Form ist die Trennung mittels Schrägstrich. An dieser Schreibweise wird kritisiert, dass sie Frauen zu einem abtrennbaren Anhängsel degradiert werden. Ausserdem ist umstritten, ob diese Schreibweise grammatikalisch korrekt ist.
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 5. Trennung mit Schräg- und Bindestrich
«Die Klient/-innen haben die Möglichkeit, aus verschiedenen Menüs zu wählen.»
Im Unterschied zu der vorherigen Variante wird bei dieser Form ein Bindestrich hinzugefügt, wodurch diese Variante zumindest grammatikalisch korrekt wird.
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6. Gender-Gap
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«Die Klient_innen haben die Möglichkeit, aus verschiedenen Menüs zu wählen.»
 
Nicht alle Menschen identifizieren sich mit dem Geschlecht «Frau» oder «Mann». Denn neben dieser binären Unterteilung gibt es noch andere Geschlechtsidentitäten, die mit Zwischengeschlechtlichkeit oder Transidentität zu tun haben. Um diese ebenso anzusprechen, gibt es den Gender-Gap oder das Gendersternchen.
Beide Varianten funktionieren auch im mündlichen Sprachgebrauch. Und zwar wird dazu an der Stelle, an der sich der Gap (oder das Sternchen) befinden, eine Pause eingelegt. Auch automatische Sprachprogramme und barrierefreie PDFs erkennen diese Schreibweise.
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7. Gender-Sternchen
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«Die Klient*innen haben die Möglichkeit, aus verschiedenen Menüs zu wählen.»
Das Gender-Sternchen stammt ursprünglich aus der Informatik, wo das Sternchen für eine beliebige Anzahl von Zeichen steht. Damit unterscheidet sich die Bedeutung klar von der des Unterstrichs. Denn der Unterstrich steht lediglich für eine Variable. Damit wird mit dem Sternchen noch klarer, dass es nicht nur ein drittes Geschlecht gibt, sondern zahlreiche unterschiedliche Geschlechterformen.
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Empfehlung für soziale Organisationen
Wie Sie sehen, bringt jede Form Vor- und Nachteile mit sich. So brauchen die ausgeschriebenen Formen relativ viel Platz, die abgekürzten Varianten sind nicht immer lesefreundlich und grammatikalisch korrekt.
Welche Variante Sie wählen, hängt davon ab, welche Art von Dokumenten Sie primär verwenden und davon, welche Aussenwirkung sie mit diesen erzielen möchten. Verfassen Sie viele kurze Flyer, so sind die ausgeschriebenen Varianten nicht unbedingt gewinnbringend. Schreiben Sie hingegen vor allem längere offizielle Briefe, dann bietet sich die ausgeschriebene Form an.
Trotzdem empfehle ich, dass Sie innerhalb Ihrer Institution für alle internen wie auch extern verwendeten Schriftstücke eine einheitliche Schreibweise festlegen.
Von den ausgeschriebenen Varianten empfehle ich die Nummer 1, bei der beide Wortformen mit einem Verbindungswort («und», «oder» etc.) verbunden werden. Wenn Sie sich für eine abgekürzte Variante entscheiden, dann würde ich direkt das Gendersternchen verwenden. Während vor einigen Jahren Abkürzungen mit Schrägstrich noch die verbreitetsten waren, so liegt der Trend im Moment beim Unterstrich und beim Sternchen. Insbesondere vor dem Hintergrund der UN-Behindertenrechtskonvention und Grundsätzen wie der Nicht-Diskriminierung und Inklusion ist dies ein wertvolles Zeichen!

Literatur und Tipps
Das Genderwörterbuch. Online: www.geschicktgendern.de (letzter Zugriff: 11.6.2020)

Umfassendes Nachschlagewerk des Bundes Geschlechtergerechte Sprache. Leitfaden zum geschlechtergerechten Formulieren im Deutschen. 2. Auflage von 2009. Online: www.bk.admin.ch/ (letzter Zugriff: 1.6.2020)

Universität Bern, Abteilung für Gleichstellung von Frauen und Männern (2017):  Empfehlungen für die Universität Bern. Geschlechtergerechte Sprache. Online: www.gleichstellung.unibe.ch (letzter Zugriff: 1.6.2020)
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Universität Zürich (2018): Geschlechtergerecht in Text und Bild. Leitfaden. Online: www.gleichstellung.uzh.ch (letzter Zugriff: 1.6.2020)
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Sonja Gross

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Resilienz – das Immunsystem der Psyche

30/4/2020

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Resilienz bezeichnet die psychische Widerstandskraft, die innere Stärke eines Menschen. Durch diese psychische Widerstandskraft können Krisen, wie zum Beispiel traumatische Erlebnisse, Konflikte, Erkrankungen oder auch die Corona-Epidemie, ohne anhaltende Beeinträchtigung überstanden werden. Resilienz ist gewissermassen das Immunsystem der Seele.
Gerade in dieser jetzigen ausserordentlichen Zeit ist Resilienz mehr denn je gefragt. Von uns, aber auch von unseren Klient*innen in sozialen Institutionen. Lesen Sie in diesem Artikel, wie Sie Ihre und die Resilienz Ihrer Klient*innen stärken können
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Schutzfaktoren innerhalb und ausserhalb der Person
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Die Forschung hat gezeigt, dass es schützende Faktoren gibt, welche die schädliche Wirkung ungünstiger Entwicklungsbedingungen, sogenannter Risikofaktoren, abschwächen. Dazu gehören sowohl Schutzfaktoren innerhalb als auch ausserhalb des Menschen. Zu den personalen Schutzfaktoren gehören beispielsweise Selbstwirksamkeitsüberzeugung, internale Kontrollüberzeugung, eine optimistische und zuversichtliche Lebenseinstellung, religiöser Glaube oder Spiritualität sowie Verfolgung von Talenten und Ausüben von Interessen und Hobbies. Beispiele für äussere Resilienzfaktoren sind soziale Unterstützung, positive Freundschaftsbeziehungen, klare, konsistente Regeln und Abläufe, Wertschätzung, Vorhandensein positiver Rollenmodelle oder altruistische Handlungen für andere.
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Schutzfaktoren können das Auftreten einer psychischen Beeinträchtigung oder einer anderen Entwicklungsstörung verhindern oder abwehren und stärken somit das psychische Immunsystem. 

Wie Sie Ihr psychisches Immunsystem stärken
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Das eigene psychische Immunsystem zu stärken ist eine der wichtigsten Aufgaben in der jetzigen Zeit. Damit sorgen Sie nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Menschen in Ihrer nächsten Umgebung; für Ihre Familie und Freunde, Ihre Kolleg*innen und Klient*innen. Nur so können Sie auch für diese da sein, wenn Sie gebraucht werden. Und da zudem durch unsere Spiegelneuronen Gefühlszustände anderer Menschen unbewusst aufgenommen werden, ist es umso wichtiger, dass Sie die Menschen um sich herum positiv beeinflussen – eben weil dies auch direkt wieder Einfluss auf Sie hat. Damit kommen wir auch schon zu den verschiedenen Möglichkeiten, die Ihnen dabei helfen können, Ihr psychisches Immunsystem zu stärken:


  • Lassen Sie Ihre Psyche nicht unbewusst negativ beeinflussen
Tagtäglich erhalten wir tausende von Informationen, die uns und unsere Psyche beeinflussen. Zum Teil geschieht dies bewusst und zum Teil unbewusst. Es gibt zahlreiche Tricks, um unsere Psyche nicht unbewusst negativ beeinflussen zu lassen.
Ein Trick ist keine Nachrichten im Hintergrund oder als Popup laufen zu haben. Sich stets bewusst und nur zu bestimmten Zeiten über die aktuelle Situation zu informieren, hilft dabei, negative Informationen nicht ins Unterbewusstsein gelangen zu lassen und die Kontrolle über den aktuellen Gefühlszustand zu bewahren.
Ein andere wirkungsvolle Methode, um sich nicht durch andere Personen negativ beeinflussen zu lassen ist sich selbst, nach einem Treffen oder einem Gespräch mit einer anderen Person, für einen Augenblick lang bewusst wahrzunehmen und sich zu fragen: Wie fühle ich mich jetzt? Wenn etwas Negatives da ist: Gehört das zu mir oder sind das die Gefühle der anderen Person, die mich gerade beeinflusst haben?

  • Kultivieren Sie Achtsamkeit
Achtsamkeit zu kultivieren kann bedeuten, dass Sie mehrmals am Tag Ihre ganze Aufmerksamkeit bewusst auf den aktuellen Augenblick zu richten, um wahrzunehmen, wie es Ihnen oder Ihrem Gegenüber geht. Beispielsweise können Sie das tun, indem Sie zu sich selbst sagen, dass Sie jetzt ganz bei sich sind. Nehmen Sie sich über alle Sinne bewusst wahr und versuchen Sie jede Zelle Ihres Körpers von der Haarwurzel bis zur Zehenspitze zu erfühlen.

  • Geben Sie Ihrer Psyche positive Inputs
Positive Inputs können Sie Ihrer Psyche geben, indem Sie etwa nach positiven Neuigkeiten suchen, Witze lesen oder sich bewusst an schöne, bereichernde und wohltuende Momente in Ihrem Leben erinnern. Das Heilsamste für die Psyche überhaupt ist Lachen. Und was spannend, und ebenfalls wissenschaftlich erwiesen ist: Es funktioniert auch dann, wenn einem nicht nach Lachen zumute ist.

  • Nutzen Sie die positiven Effekte von Bewegung
Nicht nur die Mimik beeinflusst unser Befinden, sondern unser gesamter Körper wirkt sich auf unseren Geist aus. Bei sportlicher Betätigung werden Endorphine ausgeschüttet, die glücklich machen, und eine gerade Haltung erhöht unmittelbar das Selbstvertrauen.

  • Bauen Sie Entspannungsmomente in Ihren Alltag ein
Jede*r hat seine eigenen funktionierenden Entspannungstechniken – sei es ein Bad zu nehmen, sich eine Massage zu gönnen, zu meditieren oder sich auf den Rücken zu legen und guter Musik zu lauschen. Wissenschaftlich erwiesen ist der positive Effekt von Muskelrelaxationstraining und ich persönlich kann Ihnen Yogamet sehr empfehlen.

Wie Sie die das psychische Immunsystem Ihrer Klient*innen stärken
Klient*innen mit einer geistigen oder psychischen Beeinträchtigung oder auch Kinder sind auf unsere Unterstützung angewiesen, um Ihre Resilienz zu stärken. Indem Sie selbst entspannt sind, unterstützen Sie auch die Resilienz Ihrer Klient*innen.

  • Strahlen Sie Ruhe, Gelassenheit und Positivität aus
Ihre Ausstrahlung wird sich unmittelbar auf Ihre Klient*innen übertragen. Aufgrund des Machtverhältnisses geschieht die Übertragung von Fachperson auf Klient*in noch viel schneller als umgekehrt. Indem Sie sich dessen bewusst sind und gezielt einsetzen, dienen Sie als positives Rollenmodell und können so vielen Klient*innen dabei unterstützen, psychisch gesund zu bleiben.

  • Fördern Sie Hobbies, Interessen und soziale Kontakte
Wer seinen Hobbies und Interessen nachgeht und soziale Kontakte hat, ist psychisch stabiler als jemand, der dies nicht tut. Gesellschaftsspiele und Bastelangebote gewinnen damit in Zeiten von Corona, in denen die Klient*innen sich nicht draussen aufhalten dürfen, wieder besonders an Bedeutung. Durch die Anschaffung neuer Spiele gelingt es Ihnen vielleicht, wieder neue Freude ins Gemeinschaftsleben zu bringen.
Basteln und das Pflegen sozialer Kontakte können ebenfalls gut verknüpft werden: Wieso nicht ein Geschenk für eine nahestehende Person basteln und dieses dann mit einer Karte verschicken?
Die positive Psychologie kennt noch ein weiteres Tool, das die subjektive Lebensqualität und die psychische Widerstandskraft stark erhöht: das Dankbarkeitstagebuch. Erstellen Sie mit interessierten Klient*innen ein Buch oder ein Poster, in dem gemeinsam kontinuierlich alles sammeln, wofür sie dankbar sind.

  • Nutzen Sie Glaube oder Spiritualität als Schutzfaktoren
Essentielle und anerkannte Schutzfaktoren sind Glaube oder Spiritualität. Doch ist der Zugang zu Kirchen und religiösen Angeboten derzeit stark erschwert. Dabei könnte es genau das sein, was vielen Menschen guttut. Indem Sie im Alltag vermehrt den persönlichen Glauben thematisieren, können Sie Ihre Klient*innen dabei unterstützen, all das an Glaubenskraft, das vorhanden ist, ins Bewusstsein zu rücken und als Ressource zu nutzen.

  • Sorgen Sie für klare, transparente und konsistente Abläufe
Die aktuelle Ausnahmesituation erfordert von uns allen viel Flexibilität und Anpassung, damit die Schutzmassnahmen zur Verringerung der Ansteckungsgefahr eingehalten werden. Und gerade in dieser Zeit der Unsicherheit sind klare, transparente und konsistente Abläufe umso wichtiger. Stellen Sie deshalb sicher, dass Ihre Klient*innen eine tägliche Routine und Struktur haben und über diese gut Bescheid wissen. Darüber hinaus kann zum Beispiel eine Infowand hilfreich sein, auf der visuell die aktuellen Massnahmen, aber auch die Fixpunkte und Ziele dargestellt werden. Dies gibt den Klient*innen inneren Halt und vermittelt ein Gefühl von Kontrolle und Sicherheit.
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  • Nutzen Sie die Wirkung altruistischer Handlungen
Wenn Klient*innen mit uneigennützige Handlungen anderen helfen, so kommen sie selbst von der Opfer- in die Helferrolle. Dadurch werden die Selbstwirksamkeit und das eigene Kontrollerleben gestärkt sowie eigene Ressourcen aufgedeckt und aktiviert. So könnten Klient*innen aus einer Behinderteninstitution vielleicht Bewohner*innen des naheliegenden Altersheimes eine Freude machen. Oder die Bewohnenden im Altersheim den Mitarbeitenden des Spitals. Vielleicht ist es auch möglich, intern Strukturen aufzubauen, in denen die Menschen sich gegenseitig unterstützen.  Aber auch schon die Pflege und Verantwortung für eine Pflanze oder auch ein Tier zu übernehmen, hat nachweislich einen positiven Effekt auf die psychische Gesundheit.

Bleiben Sie kreativ und lösungsorientiert
Es gibt eine Vielzahl an Ideen und Möglichkeiten, um die Resilienz zu stärken. Deshalb erhebt diese Auflistung auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Bleiben Sie also kreativ und suchen Sie, gemeinsam mit Ihren Klient*innen, aktiv nach neuen, sich positiv auswirkenden Mitteln und Möglichkeiten.
Haben Sie weitere Ideen und Lösungsstrategien, die Ihnen und den Klient*innen beim Überstehen dieser ausserordentlichen Zeit helfen können? Dann teilen Sie diese unten in den Kommentaren! Ich freue mich über Ihr Feedback und Ihre individuellen und kreativen Vorschläge.
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Literatur und Tipps
Antonovsky, Aaron (1979): Health, stress, and coping. New perspectives on mental and physical well-being. San Francisco: Jossey-Bass.

​​Frenk, Rafael (2020): Sieben Wege wie du überall abschalten kannst. Online: Entspannung: 7 Wege wie du überall abschalten kannst (primal-state.de) (letzter Zugriff am 5.12.2020).

Wustmann, Corinna (2004): Resilienz. Widerstandsfähigkeit von Kindern in Tageseinrichtungen fördern. Berlin: Cornelsen.
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Conceptera ist Partnerin im Beraternetzwerk von CURAVIVA Schweiz

31/3/2020

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Das Beraternetzwerk von CURAVIVA Schweiz bietet Mitgliedern für anspruchsvolle Aufgabenstellungen in den branchenrelevanten Bereichen ausgewählte Netzwerkpartner. Neu hat die CONCEPTERA GmbH ihre Kompetenz und Branchenerfahrung erfolgreich nachgewiesen und ist deshalb im Verzeichnis des Beraternetzwerkes zu finden.
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CONCEPTERA entwickelt und verfasst für Organisationen mit sozialem Auftrag (päd)agogische Konzepte und weitere ​Dokumente, ​zum Beispiel zu betrieblichen Abläufen, zur Angehörigen- und Freiwilligenarbeit oder Prävention. Zudem begleitet CONCEPTERA Institutionen bei der Implementierung dieser Konzepte und bietet Schulungen an zu aktuellen Theorien und Modellen hinsichtlich der Begleitung und Unterstützung von Kindern, Jugendlichen und Menschen mit Beeinträchtigungen. Dabei wird auf eine verständliche, an die Zielgruppe angepasste Formulierung geachtet.
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Das Menschenbild im Begleitkonzept sozialer Institutionen

28/2/2020

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Das Menschenbild ist integraler Bestandteil eines Begleitkonzeptes und darf somit nicht fehlen. Doch was hat es eigentlich damit auf sich? Wieso ist es so wichtig, welche unterschiedlichen Arten von Menschenbildern gibt es und woran sollten Sie denken bei der (Weiter-)Entwicklung ihres Menschenbildes?
Erst wenn man das versteht, ist man auch in der Lage, ein individuelles und aussagekräftiges Menschenbild zu entwickeln. Deshalb werde ich nachfolgend näher auf diese Fragen eingehen
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Was ist ein Menschenbild?
Menschenbilder sind Vorstellungen, die wir von den grundlegenden Wesensmerkmalen und Eigenschaften des Menschen haben. Wir alle versuchen, das Verhalten unserer Mitmenschen zu erklären, vorherzusagen und zu beeinflussen. ​
Wie wird die Person reagieren, wenn ich ihr etwas anvertraue? Wird die Person das Geld zurückzahlen, wenn ich ihr etwas leihe? Kann ich dem Klienten zutrauen, alleine die ÖV zu benutzen?
Zur Beantwortung dieser und ähnlicher Fragen greifen wir oftmals – bewusst oder eben auch unbewusst – auf unsere Menschenbilder zurück.
Sie haben richtig gelesen: Menschenbilder. Denn je nach Personengruppe haben wir von diesen auch ein jeweils unterschiedliches Menschenbild. So betrachten wir, ohne rassistisch zu sein, Menschen aus Senegal mit anderen Vorstellungen und Erwartungen als etwa unsere Arbeitskolleg*innen.
Die Menschenbilder beeinflussen unser Denken und Handeln – bewusst oder unbewusst.
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Nietzsche hat geschrieben: «Überzeugungen sind gefährlichere Wahrheiten als Lügen». Den Grund dafür eine solche Aussage zu machen, sehe ich darin, dass uns die Überzeugungen, im Gegensatz zu den Lügen, oftmals nicht bewusst sind. Umso wichtiger ist es, sein Menschenbild bewusst zu reflektieren und festzuhalten.
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Warum ist die Reflexion und das Festhalten des Menschenbilds so wichtig? 
Bei Menschenbildern lässt sich ein spannender Effekt zu beobachten: Sie bewahrheiten sich oftmals – wobei sie des Öfteren auch durchaus widersprüchlich sein können. So gehen etwa einige Führungskräfte von der Annahme aus, dass glückliche Kühe mehr Milch geben. Andere wiederum nehmen an, dass mehr Gehalt zu mehr Leistung führt.
Dieses Phänomen der sich selbst erfüllenden Annahmen ist auch bekannt unter den Begriffen «Rosenthal-Effekt», «Pygmalion-Effekt» oder «Selbsterfüllende Prophezeiung».
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Um die Wirkung dieses Effektes noch etwas anschaulicher zu erklären, nachfolgend ein Beispiel von einer Mutter, die davon überzeugt ist, dass ihr Sohn, Leo, wenig begabt ist. Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass sich die Mutter entsprechend dieser Überzeugung verhalten wird:
Sie wird Leo voraussichtlich weniger zutrauen und ihm weniger herausfordernde Aufgaben stellen. Leo darf somit weniger selbst entscheiden und seine Entscheidungen und sein Verhalten werden vermutlich auch häufiger kontrolliert. Wahrscheinlich erhält er auch etwas weniger Lob als andere, weil seine Leistungen ja schliesslich unter dem Durchschnitt liegen.

Die Folge davon dürfte sein, dass Leo weniger Möglichkeiten erhält, Erfahrungen zu sammeln und seine Kompetenzen zu erweitern und dadurch ein geringeres Selbstvertrauen sowie eine geringere Selbstwirksamkeit entwickelt. Dementsprechend wird Leo in seinem Verhalten voraussichtlich auch weniger kompetent und erfolgreich sein. Die Mutter nimmt dies wahr und dürfte sich in ihren Annahmen bestätigt fühlen, weswegen sie sich noch intensiver diesem Menschenbild entsprechend verhalten dürfte.
Ein Teufelskreis, der dazu führt, dass Leo sich immer mehr in diese für ihn nachteilig auswirkende Richtung entwickelt.
Dieses Beispiel lässt sich gut auf unseren Umgang mit unseren Klient*innen, aber auch mit unseren Mitarbeitenden übertragen und zeigt deutlich, weshalb es so wichtig ist, seine Vorstellungen und Erwartungen explizit zu machen und zu hinterfragen. Ausserdem ist es ein Hinweis darauf, weshalb es sinnvoll ist, Menschenbilder etwas positiver zu formulieren, als sie objektiv gesehen gerechtfertigt wären.
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Welche unterschiedlichen Menschenbilder gibt es?
Menschenbilder sind stark abhängig von unserer Kultur, der Region, in der wir leben, der Branche, in der wir tätig sind und auch dem Zeitgeist.
Um den raschen Wandel der Menschenbilder noch weiter zu verdeutlichen, möchte ich Ihnen nachfolgend einige Menschen nennen, die das Menschenbild ihrer Zeit stark geprägt haben bzw. die vorherrschenden Menschenbilder ihrer Zeit zum Ausdruck bringen.

  • Platon (428/427-348/347 v. Chr.)
    Je nach Stand haben Menschen unterschiedliche Bestimmungen.
  • Johann Amos Comenius (1592-1670)
    Das Ständedenken wird aufgelöst und es wird davon ausgegangen, dass der Mensch unabhängig seines Standes ein Ebenbild Gottes ist.
  • Immanuel Kant (1724-1804)
    In der Zeit der Aufklärung herrscht der Grundgedanke vor, dass der Mensch ein vernunftbegabtes Wesen ist.
  • René Spitz (1887-1974)
    Die Wichtigkeit der emotionalen und zwischenmenschlichen Interaktion wird wieder neu gewichtet. Spitz stellt in seinen Untersuchungen mit Heimkindern fest: Das Ausbleiben emotionaler Zuwendung kann zu emotionalem Verhungern führen.
  • John Bowlby (1907-1990)
    Der Mensch ist auf Bindung angewiesen.
  • Eduard Spranger (1914)
    Ein bis heute in der Wirtschaftswelt weit verbreitetes Menschenbild ist der Homo Oeconomicus mit der Annahme: Der Mensch stellt in allen Lebensbeziehungen den Nützlichkeitswert an erste Stelle.
  • Gerhard Roth (geb. 1942)
    Das lebenslange Lernen wird entdeckt. Der Biologe und Hirnforscher Roth stellt fest: Das Gehirn des Menschen besitzt eine hohe Plastizität.
  • Charlotte Bühler, Abraham Maslow, Carl Rogers (ab 1962)
    Das humanistische Menschenbild basiert auf der Grundannahme, dass jeder Mensch ein ganzheitliches Wesen ist, welches von Natur aus gut ist, Lösungen für Probleme bereits in sich trägt und ein Leben lang lernfähig ist.

Noch vor 10 Jahren wurde in Behinderteninstitutionen mit einem anderen Menschenbild gearbeitet als heute. Inzwischen gibt es eine neue Ausrichtung des Verständnisses von Behinderung.
An die Stelle von Fürsorge und Ausgleich vermeintlicher Defizite ist heute das Verständnis getreten, dass Menschen mit Beeinträchtigung selbstbestimmt entscheiden können, was ihnen guttut.
Menschenbilder sind also nichts Statisches, sondern sie verändern sich im Laufe der Zeit. Es ist deshalb sinnvoll und notwendig, diese in regelmässigen Abständen zu überprüfen und zu überarbeiten.

Worauf ist zu achten bei der (Weiter-)Entwicklung des Menschenbildes?
Es ist sinnvoll, sich als Institution eigene Gedanken zum Thema Menschenbild zu machen. Denn die Aussage «Wir orientieren uns am humanistischen Menschenbild» ist für die Umsetzung im Alltag meist nur wenig hilfreich. Dies merken sie spätestens dann, wenn sie ihre Mitarbeitenden konkret fragen: «Woran würde eine Besucherin erkennen, dass Ihrer Arbeit das humanistische Menschenbild zugrunde liegt?»
Folgende Fragen könnten Ihnen helfen, ein individuelles und aussagekräftiges Menschenbild zu entwickeln:
  • Woran wird man erkennen, dass ein Mensch diesem Menschenbild entspricht?
  • Welche Auswirkung hat dieses Menschenbild auf die Menschen/ihre Klient*innen?
  • An welchen Handlungen lässt sich beobachten, dass die Mitarbeitenden das Menschenbild verinnerlicht haben?

Ich hoffe, dieser Artikel regt Sie dazu an, sich mit Ihrem Menschenbild auseinanderzusetzen und dieses zu hinterfragen. Ich freue mich immer über Ihre Kommentare und Rückmeldungen. Und falls Sie Unterstützung benötigen sollten bei der konzeptionellen (Weiter-)Entwicklung ihres Menschenbildes: Ich bin gerne für Sie da.

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Sonja Gross

Auf dieser Seite teile ich mein Wissen zu aktuellen Theorien und Entwicklungen im Sozialbereich.
Ich unterstütze soziale Organisationen und Gemeinden bei der Entwicklung und dem Verfassen von Konzepten und anderen Dokumenten rund um die Begleitung und Betreuung von Kindern, Jugendlichen, älteren Menschen und Erwachsenen mit einer geistigen Behinderung.
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Ich freue mich über Ihre Nachricht: sonja.gross@conceptera.ch

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    Sonja Gross ​

    Master of Arts in Erziehungswissenschaft
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