Zu Gast in der Podcast-Reihe "Education Minds - Didaktische Reduktion» bei Yvo Wüest hat Sonja Gross über das Thema «Leichte Sprache» gesprochen. Warum ist es wichtig, dass wir uns in der Gesellschaft damit auseinandersetzen? Was unterscheidet Leichte Sprache von einfacher Sprache? Wer braucht Leichte Sprache, wer einfache Sprache? Welches sind die zentralen Regeln? Ausserdem erzählt Sonja Gross wie sie mit kritischen Rückmeldungen umgeht, welche Erfahrungen sie besonders berührt und welche Menschen sie am meisten inspiriert haben, sich in dieses Thema zu vertiefen. Yvo Wüst schreibt: «In unserem Gespräch wird mir schnell klar: Mehr "Leichte Sprache" hat viele Vorteile. Nicht nur für die Betroffenen, die vielleicht eine Einschränkung haben und so der Kommunikation bei Behörden, im Krankenhaus oder bei einer Weiterbildung leichter folgen können. Auch Unternehmen, Geschäftsleute oder Fachpersonen profitieren von den Prinzipien Leichter Sprache, zum Beispiel indem sie sie für eine sympathische und moderne Art der Kommunikation nutzen. Ausserdem kann zum Beispiel eine größere Zielgruppe für ein Bildungsangebot angesprochen werden, Therapieanweisungen werden besser verstanden oder Gesundheitskosten eingespart. Darüber hinaus kann Leichte(re) Sprache zu einer besseren Reputation einer Organisation führen.
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Sonja Gross hat mit „Leichte Sprache“ ein Buch geschrieben, das die Grundlagen für eine barrierefreie Kommunikation vorstellt und eine Schritt-für-Schritt-Anleitung bietet zum Schreiben in Leichter Sprache. Wir haben mit der Autorin über die Prinzipien und Vorteile von Leichter Sprache gesprochen. Was genau ist eigentlich „Leichte Sprache“, können Sie uns ein Beispiel geben? Leichte Sprache, das ist eine besonders einfach verständliche Sprache. Es handelt sich also um eine Variante der deutschen Sprache. Ursprünglich entwickelt wurde Leichte Sprache von und für Menschen mit einer Lernbeeinträchtigung. Allerdings profitieren auch viele weitere Zielgruppen von Informationen, die einfach verständlich sind. Leichte Sprache erkennt man vor allem an den kurzen und einfachen Sätzen. Die Faustregel ist, dass ein Satz immer nur eine Informationen halten sollte und möglichst keine Kommas enthalten sollte. Darüber hinaus werden zum Beispiel Fremdwörter vermieden. Nebst Regeln auf Satz- und Wortebene gibt es in der Leichten Sprache aber auch Regeln für das Layout und die Gestaltung. Auch diese werden so angepasst, dass der Text für möglichst viele Menschen gut verständlich, also barrierefrei, ist. Bei der Übersetzung eines Arbeitsvertrages bin ich zum Beispiel auf den folgenden Satz gestoßen: „Bei wieder vollständiger Arbeitsfähigkeit im Rahmen Ihres geschützten Arbeitsplatzes und der damit verbundenen Wiederaufnahme der Arbeit haben Sie Anspruch auf Lohnzahlung gemäß den vertraglichen Vereinbarungen und im Umfang der Arbeitsfähigkeit“ Diesen würde man dann zum Beispiel so umformulieren: „Wenn Sie wieder arbeiten können, dann kommen Sie zurück an Ihren geschützten Arbeits-Platz. Wenn Sie wieder arbeiten, dann bekommen Sie auch wieder Lohn.“ Häufig wird auch mit Fragestellungen gearbeitet. Zum Beispiel: „Sie können wieder arbeiten? Dann kommen Sie zurück an Ihren geschützten Arbeits-Platz Sie arbeiten wieder? Dann bekommen Sie auch wieder Lohn.“ Dabei sollte man die Zielgruppe immer im Blick behalten. Denn nicht für jede Zielgruppe braucht es Leichte Sprache. Manchmal reicht auch eine leichtere Sprache. Deshalb werden im Buch beide Sprachniveaus näher beleuchtet. Gerade erst hat die IGLU-Studie gezeigt, dass jede*r 4. Grundschüler*in nicht den Mindeststandard in Lesekompetenz erreicht. Vermutlich wird nur ein Teil dieser Kinder dies aufholen können. Werden immer mehr Menschen auf Leichtere Sprache angewiesen sein? Nein, davon ist nicht zwingend auszugehen. Laut aktuellen Studien und den Aussagen von Sprachwissenschaftler*innen ist es nicht unbedingt das Leseniveau der Menschen, das sinkt, sondern die Sprache, die komplexer wird. Ausserdem ist es ja nicht neu, dass viele Bürger*innen die Informationen von Ämtern, Behörden oder Verträge nur schlecht verstehen. Im Gegenteil: Früher war dies, so vermute ich, noch viel häufiger der Fall. Heute ist man diesbezüglich einfach sensibilisierter, die Kommunikation auf Augenhöhe, Selbstbestimmung und Teilhabe haben an Bedeutung gewonnen. Nichtsdestotrotz ist es ein relativ hoher Anteil der Bevölkerung, der auf Leichte oder auf einfache Sprache angewiesen ist. Wie hoch ist denn dieser Anteil? Wir können, laut den aktuellen Studien, wie PISA oder der OECD-Studie, davon ausgehen, dass etwa 20 Prozent der Bevölkerung über höchstens rudimentäre Kompetenzen im Lesen verfügt. Um diese Personen zu erreichen, braucht es Leichte Sprache. Ausserdem hat sich in diesen Studien gezeigt, dass es etwa der Hälfte der Bevölkerung auch bei mehrmaligem Lesen nicht gelingt, Informationen in einem dichteren und längeren Text, dessen Aufbau nicht unbedingt offensichtlich ist, zu finden und zu verstehen. Zum Beispiel Behördentexte werden deshalb von einem grossen Teil nicht verstanden. Aber auch Verträge sind für viele Menschen schwer verständlich. Welche Rolle spielt Leichte, Einfache oder Leichtere Sprache beim Streben nach Barrierefreiheit? Beim Thema Barrierefreiheit denken viele zuerst einmal an Treppen und Rollstuhlgängigkeit. Barrieren, welche die Teilhabe verhindern, gibt es jedoch auch viele in der Kommunikation. Eine Barriere, die den Zugang zu einer schriftliche Information verhindert, kann auch eine zu kleine Schrittgröße sein oder der Gebrauch von Fremdwörtern. Leichte Sprache allein sichert also noch keine barrierefreie Kommunikation. Jedoch ist sie ein wichtiges Puzzleteil für barrierefreie Kommunikation, zum Beispiel nebst dem Einsatz von barrierefreien (PDF-)Dateien, die unabhängig von der jeweiligen Technik vorlesbar und zugänglich sind. Ausserdem kann Leichte Sprache auch in der mündlichen Kommunikation eingesetzt werden und dort beim Abbau von Barrieren helfen. Wie kompliziert ist Leichte Sprache? D.h., kann man sich Leichte Sprache z.B. selbst beibringen?Leichte Sprache ist, anders als beim Lesen, beim Erarbeiten nicht leicht. Das sagen zumindest 95% meiner Kursteilnehmenden. Sie können es sich ein bisschen so vorstellen, als würde man eine Fremdsprache lernen – zu Beginn ist die Anwendung der Regeln recht mechanisch und es braucht viel Zeit, um auch kurze Texte oder wenige Informationen in Leichter Sprache zu formulieren. Es braucht also einiges an Zeit und Übung, um Leichte Sprache zu lernen. Wer jedoch dies sowie ein gewisses Sprachgefühl und genügend Disziplin mitbringt, kann sich Leichte Sprache, wie jede andere Sprache auch, mit der passenden Literatur selbst beibringen. Wie sind Sie selbst zum Bereich Leichte Sprache gekommen und was begeistert Sie daran besonders? Was mich besonders begeistert an Leichter Sprache und auch motiviert, sie noch bekannter zu machen, sind die Erfahrungen und Erlebnisse, die ich mit Menschen mit einer Leseschwäche gemacht habe. Nicht wenige Personen, mit denen ich gearbeitet habe, haben nicht einmal selbst die Post geöffnet, weil sie davon ausgingen: Ich verstehe sowieso nichts. Das ist viel zu mühsam und zu anstrengend. Einige wollten auch nicht in der Prüfgruppe mitmachen, in der Texte in Leichter Sprache auf ihre Verständlichkeit geprüft werden, weil sie Angst hatten, dass sie zu schlecht lesen können. Wir haben uns in der Prüfgruppe alle zwei Wochen getroffen und gemeinsam Texte zu verschiedensten Themen in Leichter Sprache gelesen und geprüft. Und schon nach kurzer Zeit haben die meisten Teilnehmenden große Freude am Lesen entdeckt, sie haben wieder mehr Selbstvertrauen gewonnen und sich plötzlich auch für Themen interessiert, die für sie vorher „zu kompliziert und anstrengend“ waren. Zum Beispiel haben sie sich mit Informationen in Leichter Sprache mit großer Motivation über das Thema Corona und Impfen informiert, um selbst entscheiden zu können, was sie möchten. Ich bin überzeugt davon, dass Leichte(re) Sprache ein zentrales Mittel ist für mehr Teilhabe und Chancengleichheit. Herzlichen Dank für das Gespräch! Quelle: Mit Leichter Sprache zu mehr Teilhabe | Hogrefe Was ist Leichte(re) Sprache? Wie genau schreibt und spricht man leicht oder leichter? Dieses Buch gibt Antworten. Leichte Sprache ist eine besonders einfache Sprache mit kurzen Sätzen, alltagsnahen Wörtern, prägnanten Aussagen und verständlicher Darstellung. Studien zeigen, dass ca. ein Drittel der Erwachsenen im Alltag Mühe hat, schriftliche Informationen von Firmen, Behörden oder Medien zu verstehen. Mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung hat Probleme, den Erklärungen von medizinischen und therapeutischen Fachpersonen zu folgen. Durch Leichte(re) Sprache werden gesundheitsrelevante Informationen besser verstanden und damit die Beziehungsqualität, die Patientensicherheit sowie der Therapieerfolg erhöht. Aber auch in anderen Bereichen wird Leichte(re) Sprache mit Erfolg eingesetzt, um mehr Menschen zu erreichen, Missverständnisse zu reduzieren und die Zusammenarbeit zu verbessern. Von Leichter(er) Sprache profitieren deshalb neben medizinischen und betreuerischen Fachpersonen auch Lehrpersonen, Eltern, Führungspersonen, Politikerinnen und Politiker, Behördenmitarbeitende, Angehörige von Demenzbetroffenen und viele weitere Berufsgruppen mit Kundenkontakt. Dieses Buch gibt einen Überblick über alles Wissenswerte über Leichte(re) Sprache: die Grundlagen, den Hintergrund sowie die Wirkweise. Außerdem erfahren die Leserinnen und Leser mehr über die bestehenden Regelwerke und lernen, wie sie die Regeln optimal für sich und ihre Ziele einsetzen können. Die Theorie wird mit kurzweiligen Beispielen vermittelt und die enthaltenen Übungen, Tipps und Checklisten bieten Unterstützung bei der eigenen Umsetzung.
Hunde und Katzen sind immer häufiger anzutreffen in Einrichtungen, Schulen und bei Therapien. Doch weshalb genau? Was wird unter tiergestützter Pädagogik, Therapie und Aktivierung verstanden und was bewirkt sie? Diese Fragen werden im Folgenden beantwortet. Ausserdem wird näher auf den Therapie- bzw. Begleithund eingegangen. Was ist tiergestützte Pädagogik, tiergestützte Therapie und tiergestützte Aktivierung? Tiergestützte Pädagogik ist ein Ansatz der Pädagogik, bei dem Tiere in den Lernprozess integriert werden. Hierbei wird von speziell qualifiziertem Fachpersonal eine zielgerichtete, geplante und strukturierte Interaktion zwischen den Kindern oder Jugendlichen und den Tieren durchgeführt. Sind die Klient*innen erwachsen, wird anstatt von tiergestützter Pädagogik von tiergestützter Therapie oder Aktivierung gesprochen. Als Überbegriff wird in diesem Artikel der Begriff „tiergestützte Interventionen“ verwendet. Für tiergestützte Interventionen können unterschiedlichste Tiere eingesetzt werden. Zurzeit werden nebst Hunden am häufigsten Pferde, Katzen, Kaninchen oder Meerschweinchen eingesetzt. Empirische Studien haben gezeigt, dass die tiergestützte Intervention ein vielversprechender Ansatz ist, um Lernprozesse zu unterstützen. Welche Wirkung haben Tiere auf den Menschen? Mensch und Tier gehören entwicklungsgeschichtlich zusammen. Die Beziehung zu Tieren wirkt sich positiv auf das physische und psychische Wohlbefinden des Menschen aus und hat einen starken positiven sozialen Effekt. In zahlreichen Studien konnten die vielfältigen positiven Wirkungen von Tieren auf den Menschen nachgewiesen werden. So kann das Streicheln von Hunden oder das Striegeln von Pferden eine physiologische und emotionale Wirkung haben, indem es den Blutdruck und die Herzfrequenz positiv beeinflusst und die Ausschüttung verschiedener Glückshormone anregt, was zu mehr innerer Ruhe und einer positiveren Emotionalität führt. Ein Tier kann depressive Stimmungen aufheben, indem es mit seiner Spontanität und Freude die Lebenslust vom Menschen positiv beeinflusst. Aus den emotionellen Lerntheorien ist bekannt, dass eine positive Emotionalität eine wichtige Grundvoraussetzung für gelingendes Lernen und Aufnahmebereitschaft darstellt. Aber auch motorische Fähigkeiten können durch den Einsatz von Tieren gefördert werden – so haben beispielsweise Personen mit motorischen Problemen, die regelmäßig mit Pferden arbeiteten, eine deutliche Verbesserung ihrer motorischen Fähigkeiten festgestellt. Der Umgang und Einbezug von Tieren haben aber auch eine soziale Wirkung. Tiere fördern den sozialen Zusammenhalt unter anderem damit, dass sie Gesprächsstoff und ein gemeinsames Interesse liefern. Ausserdem ist wissenschaftlich erwiesen, dass die Anwesenheit von Tieren die Harmonie bei zwischenmenschlichen Problemen erhöht und Tiere zum Beispiel in Schulklassen zur Förderung von Rücksichtnahme, Kompromissbereitschaft und Hilfsbereitschaft beitragen. Darüber hinaus kann der Umgang mit Tieren auch eine mentale und psychologische Wirkung entfalten. Eine positive Beziehung zwischen Mensch und Tier kann das Selbstwertgefühl sowie die Selbstwirksamkeit erhöhen. Spürt die Person, dass sie gebraucht wird und Verantwortung übernehmen muss, werden neue Kompetenzerfahrungen ermöglicht. Tiere haben also nicht nur eine positive Wirkung auf den Körper, die Psyche und den Geist, sondern auch auf das soziale Miteinander. Wie werden zum Beispiel Therapie-, Schulbegleit- oder Besuchshunde eingesetzt? Therapie-, Schulbegleit- oder Besuchshunde können in den unterschiedlichsten Kontexten eingesetzt werden – sowohl in Schulen als auch in Behinderteninstitutionen, in Pflegeheimen oder Kliniken. Die Hunde beispielsweise können bei der Integration von Kindern mit Autismus helfen oder Senior*innen dabei unterstützen, ihre Mobilität und Selbstständigkeit zu erhalten. Hunde als pädagogische oder therapeutische Begleiter wirken ausserdem häufig als Türöffner, sie erleichtern die Kontaktaufnahme und beschleunigen die Bildung einer Vertrauensbasis. Damit tragen die Tiere wesentlich zum Beziehungsaufbau sowie zu einem positiven Gruppenklima und zum Wohlbefinden der Klient*innen oder Patient*innen bei. Je nachdem für welche Aufgaben sie eingesetzt und durch wen sie begleitet werden, nennt man diese Therapie-, Schulbegleit- oder Besuchshunde. Auch wenn es hilfreich wäre, so gibt es für diese derzeit noch keine einheitliche Definition oder Ausbildung. Wo sind die Grenzen und was muss bedacht werden? Die Vorteile von tiergestützten Interventionen liegen also klar auf der Hand und es gibt immer mehr Einrichtungen, die Tiere, insbesondere Hunde, mit grossem Erfolg einsetzen. Allerdings sollte man nicht vergessen, dass diese Form der Intervention keine Wunderwaffe ist und sie auch ihre Grenzen hat. So ist es beispielsweise wichtig, dass die Tiere gut ausgebildet und bei guter Gesundheit sind und professionell begleitet werden. Auch muss man bedenken, dass nicht jede Person auf Tiere gleich positiv reagieren wird – so können beispielsweise Personen mit einer Tierhaarallergie oder anderen Allergien nur begrenzt an solchen Programmen teilnehmen. Wichtig ist in jedem Fall, dass die Tiere, insbesondere Hunde, und ihre Begleitperson eine entsprechende Ausbildung absolviert haben. Deswegen sollte die Einrichtung in einem „Konzept hundegestützte Pädagogik“ die Bedingungen des Tiereinsatzes wie Voraussetzungen, Dauer, Hygiene, finanzielle Fragen, Einsatzzeiten und Versicherungen genau klären und regelmässig prüfen. Überlegen Sie in Ihrer Einrichtung tiergestützte Interventionen einzusetzen? Oder möchten Sie den Einsatz der Tiere in Ihrer Einrichtung professionalisieren? Dann nehmen Sie Kontakt mit mir auf.
Gestern erschienen in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift ARTISET ist mein Artikel über die innovative Tagesstruktur ohne Lohn der Stiftung zuwebe. Ich bin stolz und hoffe, dass dieses tolle Beispiel ganz viele Institutionen inspiriert. Hier geht`s zur kompletten Ausgabe: Magazin ARTISET_9-2022_Politische Partizipation Seit dem 1. Januar 2022 gehören die Branchenverbände CURAVIVA, INSOS und YOUVITA zur Föderation ARTISET.
Ich freue mich und bin stolz, dass CONCEPTERA Mitglied des Beraternetzwerkes von ARTISET ist und einen aktiven Beitrag leisten kann in den Themen Konzeptentwicklung, Qualitätsmanagement, Personalschulung und Leichte Sprache. CONCEPTERA bietet Dienstleistungen für Institutionen aller Altersbereiche und Zielgruppen im Sozialbereich sowie für Kantone und Gemeinden. Mit dem Ziel der bestmöglichen Begleitung und Unterstützung von Kindern und Jugendlichen, Erwachsenen mit Beeinträchtigung bis hin zu älteren Menschen. Ist das Erziehungsverhalten schuld an Verhaltensauffälligkeiten von Kindern? "Daran ist alleine die Erziehung schuld!" Diese Aussage ist mir immer wieder begegnet. Ist da etwas dran? Die elterliche Erziehung spielt eine entscheidende Rolle für die verhaltensspezifische Entwicklung von Kindern. Sie hat einen entscheidenden Einfluss auf verschiedenste Bereiche der Entwicklung, zum Beispiel die inneren Konflikte, Abwehrmechanismen, Aggressivität, Schüchternheit sowie auch auf die Ausprägung und Entwicklung sozialer Kompetenzen. Die durch die Erziehung vermittelten Wertvorstellungen, Meinungen und Haltungen weisen für die Kinder einen prägenden Charakter auf. Grundsätzlich werden seit Diana Baumrinds Typologie drei Erziehungsstile unterschieden: Der autoritative, der autoritäre und der laissez-faire Erziehungsstil. Der letztgenannte wird seinerseits unterteilt in ein permissives und vernachlässigendes Erziehungsverhalten. Lesen Sie dazu den von mir kürzlich veröffentlichten Artikel. Zur Aufgabe der Eltern gehört es, ihren heranwachsenden Kindern soziale, kulturelle und gesellschaftliche Werte und Normen zu vermitteln, um zu gewährleisten, dass sie sich mit den Erwartungen und Anforderungen der Gesellschaft zurechtfinden. Welches Erziehungsverhalten sie dazu anwenden, ist stark abhängig von den Erfahrungen, die sie in ihren Herkunftsfamilien gemacht haben. Durch die Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie werden Erziehungsstile einerseits weitergegeben oder andererseits bewusst durchbrochen. Sollen Kinder wieder strenger erzogen werden? Welchen Einfluss hat der Erziehungsstil auf Verhaltensauffälligkeiten? In diesem Artikel werden verschiedene Forschungsergebnisse zu dieser Frage verglichen, um zu beantworten, welchen Einfluss ein autoritärer im Vergleich zu einem autoritativen Erziehungsstil auf die Entwicklung von Verhaltensauffälligkeiten hat. Der Zusammenhang zwischen Kindesverhalten und autoritärem Erziehungsstil In zahlreichen Studien konnte ein Zusammenhang zwischen dem elterlichen Erziehungsverhalten und den Persönlichkeitsmerkmalen bzw. dem symptomatischen Verhalten des Kindes nachgewiesen werden. Eigenschaften wie Intelligenz, Kreativität, Leistungsmotivation, Selbstachtung und soziale Kompetenz, aber auch Selbstachtung, aggressives Verhalten, Hyperaktivität und emotionale Auffälligkeiten und sozio-emotionale Kompetenzen von Kindern weisen hohe Korrelationen zum Erziehungsstil auf, d.h. sie stehen in einem engen Zusammenhang mit diesem. Es hat sich gezeigt, dass insbesondere eine starke Machtdurchsetzung vonseiten der Eltern – welche sich in autoritärem Erziehungsverhalten zeigt – oftmals mit problematischen Kindesverhaltensweisen einhergeht. Die Studie von Reichle und Franiek (2009) zum Beispiel zeigt höchst signifikante Zusammenhänge zwischen machtvoller Durchsetzung mit oppositionell-aggressivem Verhalten. Insbesondere bei Jungen besteht ausserdem eine hohe Korrelation mit Hyperaktivität und Kinder beider Geschlechter weisen bei einem autoritären Erziehungsstil niedrigere sozial-emotionalen Kompetenzen auf. Kellerhans (1994) beschreibt in seinem Artikel „Erziehungsstile in den heutigen Familien“ vor allem den Zusammenhang zwischen dem Erziehungsstil und der Selbstachtung. Unter Selbstachtung wird einerseits die Fähigkeit zur Einschätzung der persönlichen Kompetenz in verschiedenen Bereichen verstanden und andererseits die Einschätzung des Subjekts seiner Persönlichkeit im Vergleich zur sozialen Umgebung. Der Anteil an positiver Selbstachtung liegt bei Kindern und Jugendlichen unter dem Typus „autoritärer Stil“ lediglich bei 17%. Dieses Ergebnis verdeutlicht, dass nicht einmal jeder Fünfte über eine angemessene, positive Selbstachtung verfügt. Wobei der Einfluss auf das Selbstwertgefühl höher ist, als der Einfluss auf das Kompetenzgefühl. Zudem steht die Selbstachtung bei den Knaben in einem engeren Zusammenhang mit dem Erziehungsstil, als bei den Mädchen. Wichtig ist des Weiteren zu erwähnen, dass die Selbstachtung unabhängig vom sozialen Milieu oder der Art des Familienzusammenhalts ist. Noack und Kracke (2003) haben die „wechselseitige Beeinflussung zwischen elterlichem Erziehungsstil und Problemverhalten bei Jugendlichen“ anhand einer Längsschnittstudie untersucht. Hinsichtlich der Delinquenz gab es einen grossen Unterschied zwischen den männlichen und weiblichen Untersuchungsteilnehmern, wobei die männlichen Versuchspersonen signifikant höhere Werte aufwiesen. Obwohl die Befundlage nicht eindeutig scheint, konnten insgesamt Delinquenz mindernde Einflüsse des autoritären Erziehungsverhaltens auf die Jugendlichen ausgemacht werden. Allerdings steigert ein autoritäres Erziehungsverhalten gleichzeitig die Aggressionstendenz. Zum Auftreten kann gesagt werden, dass der autoritäre Erziehungsstil eher in den unteren Schichten zu finden ist. Generell üben Unterschichteltern mehr Kontrolle, Zwang, Überwachung und Gewaltanwendung aus als Oberschichteltern, so Noah und Kracke (2003). Weiter scheint es, dass Eltern im mittleren Jugendalter autoritärer werden, und zwar insbesondere als Reaktion auf Problemverhalten. Zudem hängt der Erziehungsstil stark mit dem Zusammenhalt der Familie zusammen. Laut Kellerhans (1994) dominiert in den sogenannten „Festungs“-Familien der autoritäre Erziehungsstil. Die „Festungs“-Familien zeichnen sich dadurch aus, dass der Zusammenhalt der Mitglieder gross ist, dass die Wichtigkeit eines innerfamiliären Konsenses betont wird, und dass die Familie als Rückzugsgebiet betrachtet wird. Es kann somit festgehalten werden, dass verschiedene quer- und längsschnittliche Studien eine Korrelation zwischen problematischen Verhaltensweisen bei Kindern und Jugendlichen, wie Aggressivität, Hyperaktivität und emotionale Auffälligkeiten nachweisen konnten. Gleichzeitig gibt es auch eine Studie, die den autoritären Stil als Delinquenz mindernd beschreibt. Offen bleibt bei diesen Ergebnissen allerdings zu welchem Grad der Erziehungsstil eine Reaktion auf das Verhalten des Kindes ist oder inwiefern das Kindesverhalten durch den Erziehungsstil bedingt ist. Der Zusammenhang zwischen Kindesverhalten und autoritativem Erziehungsstil Die Längsschnittstudie des „National Institute of Child Health and Human Development“ konnte 2002 zeigen, dass Vorschulkinder, die in einem autoritativen Erziehungsumfeld aufwachsen, höhere vorschulische Fertigkeiten, bessere Sprachfertigkeiten, mehr soziale Fertigkeiten und weniger Verhaltensprobleme aufweisen. Aber auch bei Jugendlichen hängen erwünschte Verhaltensweisen stark mit dem autoritativen Erziehungsstil zusammen. Jugendliche, die unter diesem Stil aufwuchsen, erreichen bessere Leistungen in der Schule, sind weniger häufig depressiv oder ängstlich, verfügen über höhere Eigenständigkeit und einen höheren Selbstwert. Ausserdem zeigen sie weniger häufig Problemverhalten, wie Delinquenz oder Drogenmissbrauch. Kellerhans (1994) findet heraus, dass 40% aller Kinder und Jugendlichen, die unter einem autoritativen Erziehungsstil aufwachsen, über eine positive Selbstachtung verfügen. Weiter konnten Noack und Kracke (2003) zeigen, dass autoritative Erziehung eine Verringerung aggressiver Tendenzen nach sich zieht. Zudem sagt ein erhöhtes Ausmass an Delinquenz eine niedrigere Ausprägung der autoritativen Erziehung voraus. Das heisst je höher der autoritative Stil ausgeprägt ist, desto niedriger ist die Delinquenz. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass autoritative Erziehung Delinquenz und aggressiven Tendenzen entgegenwirkt und entwicklungsfördernd ist. Vergleich und Schlussfolgerung Während der autoritäre Erziehungsstil oft mit unerwünschten oder problematischen Verhaltensweisen einhergeht, korreliert der autoritative Erziehungsstil signifikant häufiger mit erwünschten Entwicklungen des Kindes. Es konnte gezeigt werden, dass autoritär erzogene Kinder vermehrt oppositionell-aggressives Verhalten aufzeigen und die Selbstachtung deutlich weniger stark ausgeprägt ist. Während 40% der Kinder unter autoritativem Einfluss eine positive Selbstachtung aufwiesen, waren es beim autoritären Erziehungsverhalten lediglich 17%. Im Gegensatz zur autoritären Erziehung, bei der die Aggressionstendenz eher zunimmt, zieht die autoritative Erziehung eine Verringerung aggressiver Tendenzen nach sich. Weiter sagt der autoritative Erziehungsstil eine tiefere Delinquenz voraus, während beim autoritären Erziehungsstil in einer längsschnittlichen Erhebung ein positiver Einfluss auf das Delinquenzverhalten nachgewiesen werden konnte. Ausserdem korreliert das autoritative Erziehungsverhalten mit zahlreichen anderen positiven Entwicklungen, die sich vor allem im schulischen aber auch im sozialen Bereich zeigen. Nebst der einen positiven Auswirkung des autoritären Erziehungsstils auf schon vorhandene Delinquenz konnten beim autoritären Erziehungsstil vermehrt problematische Kindesverhaltensweisen gefunden werden im Gegensatz zum autoritativen Stil. Autoritär erzogene Kinder zeigen deutlich mehr negative Verhaltensweisen, als Kinder die unter einem autoritativen Erziehungsstil aufwuchsen. Es kann allerdings nicht eindeutig festgestellt werden, dass das Verhalten durch den elterlichen Erziehungsstil herbeigeführt wird. Vielmehr sollte davon ausgegangen werden, dass Erziehung und Problemverhalten durch einen wechselseitigen Prozess miteinander verbunden sind. Das heisst, dass sich der Erziehungsstil nicht unilinear auf das Kindesverhalten bzw. die Kindesentwicklung auswirkt. Das Verhalten des Kindes – zum Beispiel sein Temperament – kann ebenso auf den Erziehungsstil einwirken. Ausserdem müssten die Altersgruppen differenzierter betrachtet werden. Es ist unwahrscheinlich anzunehmen, dass das optimale elterliche Erziehungsverhalten zu jedem Entwicklungszeitpunkt das Gleiche bleibt. Was bedeutet diese Schlussfolgerung nun für die Praxis? Der positive Zusammenhang zwischen autoritativem Erziehungsstil und wünschenswerten Verhaltensweisen und der Vergleich mit dem autoritären Erziehungsverhalten lässt darauf schliessen, dass es vorteilhaft für die Entwicklung des Kindes ist, autoritativ aufzuwachsen. Da dies vielen Eltern nicht bewusst ist, was sich in der Schweiz auch traditionell begründen lässt, wäre es in einem ersten Schritt wichtig, die Eltern vermehrt darüber in Kenntnis zu setzen. Untersuchungen von Eltern-Trainings haben durchaus positive Effekte gezeigt und es ist nachgewiesen, dass sich nur schon eine bewusste Erziehungshaltung der Eltern positiv auf das Kindesverhalten auswirkt. Besonders unterstützend könnten Elterntrainings sein, wenn das Kind oder der Jugendliche problematische Verhaltensweisen zeigt. Denn gerade dann, so haben Noack und Kracke (2003) gezeigt, neigen Eltern dazu autoritärer zu werden. Meist mit unerwünschten Folgen, da gerade in einer solchen Situation eher ein autoritativer Erziehungsstil dem Problemverhalten entgegenwirken würde. Literatur und Tipps Ecarius, J. (Hrsg.) (2007). Familienerziehung. In: Handbuch Familie. Heidelberg: Springer (S.137-156). Kellerhans, J. (1994). In: Familie. Sieben Beiträge. Institut für Sozialethik (S. 8-19). Maccoby, E. E. (2000). Parenting and its effects on children – On reading and misreading behavior genetics. Anual Review of Psychology, 1, 1-27. Noack, P. & Kracke, B. (2003). Elterliche Erziehung und Problemverhalten bei Jugendlichen – Analysen reziproker Effekte im Längsschnitt. Zeitschrift für Familienforschung, 1, 25-37. Ratzke, K., Gebhardt-Krempin, S. & Zander, B. (2008). Diagnostik der Erziehungsstile. In: Cierpka, M. (Hrsg.), Handbuch der Familiendiagnostik (3. Aufl.) Heidelberg: Springer (S. 242-255). Reichle, B. & Franiek, S. (2009). Erziehungsstil aus Elternsicht – Deutsche erweiterte Version des Alabama Parenting Questionnaire für Grundschulkinder. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 41 (1), 12-25. Wild, E. & Lorenz, F. (2009). Familie. In: Wild, E. & Möller J. (Hrsg.), Pädagogische Psychologie. Heidelberg: Springer (S. 235-259).
Behinderteninstitutionen sind herausgefordert: Selbstbestimmung von Klient*innen mit kognitiven Beeinträchtigungen auf der einen Seite und Sicherheit sowie eine gelingende Zusammenarbeit mit deren Angehörigen auf der anderen Seite.
Conceptera begleitet und berät soziale Institutionen bei der Entwicklung einer Haltung sowie von Handlungsgrundlagen zu diesem Thema. Dabei spielt das Erwachsenenschutzgesetz eine entscheidende Rolle. Für Magazin Inside der Stiftung arwo hat Sonja Gross im Juni 2021 ein Interview gegeben: Zur Person: Sonja Gross (31) hat Erziehungswissenschaft studiert und führt ihr eigenes Unternehmen Conceptera, eine Fachstelle für Konzeptarbeit im Sozialbereich. Der Geschäftsführer der arwo sagt selbstkritisch, dass die arwo die Änderungen im neuen Erwachsenenschutzrecht im Alltag noch zu wenig umgesetzt hat. Sie unterstützen Stiftungen in diesem Prozess. Wurde die Gesetzesänderung anderswo besser umgesetzt? Sonja Gross: Ich kenne keine Institution, die sie vollumfänglich super umgesetzt hat. Dafür hätte es wohl eine grössere Schulungsaktion der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) gebraucht. Wie kamen Sie dazu, Unternehmen bei der Umsetzung der neuen Gesetzesgrundlage zu unterstützen? Ich kam über die Konzeptarbeit dazu und unterstütze Stiftungen bei der Erarbeitung der Grundlagen der Begleitung und Betreuung. Eine vorhandene Grundlage alleine reicht jedoch nicht: Es ist wichtig nicht nur die Angestellten zu schulen, sondern auch die Angehörigen und die Betroffenen aufzuklären. Was sind die Hauptthemen, die im Zusammenhang mit der Selbstbestimmung immer wieder zu Unsicherheiten führen? Die Kleidung ist immer wieder ein Thema. Auch der Umgang mit der Sexualität ist heikel. Angehörigen argumentieren manchmal damit, ihr erwachsenes Kind hätte immer noch den Entwicklungsstand eines Siebenjährigen. Das stimmt, doch der Körper hat sich trotzdem entwickelt und damit bei Vielen auch die Lust. Vor allem ältere Angehörige haben zu diesem Thema öfters eine konservative Haltung. Aus rechtlicher Sicht ist es jedoch eine klare Sache: Sexualität gehört in den Bereich der «höchstpersönlichen Rechte, die einer Person um ihrer Persönlichkeit willen zustehen». Diese Rechte können auch von handlungsunfähigen Personen, zum Beispiel von Personen mit einer umfassenden Beistandschaft oder von minderjährigen Personen, wahrgenommen werden, falls sie urteilsfähig sind und durch niemanden vertreten werden. Wer entscheidet, ob eine Person urteilsfähig ist, also die Tragweite seines eigenen Handelns «vernunftgemäss» einschätzen kann? Grundsätzlich geht man von der Urteilsfähigkeit aus und muss begründen, wenn jemand in einer Sache nicht urteilsfähig ist. Deshalb, und weil Urteilsfähigkeit immer an eine spezifische Fragestellung und Entscheidung gebunden ist sowie sich verändern kann, kann die Urteilsfähigkeit einer Person auch nicht im Dispositiv (der von der KESB verfassten Anordnung in der Ernennungsurkunde, Anm. d. Red) festgehalten werden. Sondern sie muss situativ, am besten über verschiedene Zeitpunkte hinweg, beobachtet, erfragt und erhoben werden. Im Alltag ist die Urteilsfähigkeit zentral. Wenn zum Beispiel eine Begleitperson mit einem Klienten in einem Restaurant isst, kann er grundsätzlich selbst entscheiden, was er bestellt. Hat er aber eine lebensbedrohliche Allergie gegen Nüsse und will eine Nusstorte bestellen, muss die Begleitperson eingreifen, weil der Klient offensichtlich nicht einschätzen kann, was geschehen kann, wenn er den Kuchen isst. Beim Thema Freundschaft und Sexualität scheint es schwieriger zu sein, die Urteilsfähigkeit herauszufinden … Aber auch da gilt es zu bedenken, dass Selbstbestimmung ein Grundrecht ist und dass gemäss Bundesverfassung Freiheit und Selbstbestimmung die Regel und Beschränkung die Ausnahme sind. Will jemand zum ersten Mal beim Freund oder der Freundin übernachten, macht es allerdings Sinn im Gespräch vorgängig herauszufinden, ob beide dasselbe wollen und niemand vom anderen unter Druck gesetzt wird. Da die Einschätzung der Urteilsfähigkeit nicht in jedem Fall auf Anhieb eindeutig ist, müssen die Fachpersonen besonders gut hinschauen, reflektieren und dokumentieren. Auch andere Themen der Selbstbestimmung wären durchs Erwachsenenschutzrecht klar geregelt und sind trotzdem (noch) nicht umgesetzt – warum? Warum man dies nicht früher und konsequenter angegangen ist, kann ich nicht beurteilen. Ich vermute, dass es mit der gewissen Komplexität des Gesetzes zusammenhängt. Das neue Erwachsenenschutzgesetz von einem Tag auf den anderen konsequent umzusetzen, wäre allerdings eine Überforderung für alle Beteiligten auch für die Klient*innen. Viele, vor allem ältere Personen, haben früher nicht gelernt, selbst zu entscheiden und würden sich unsicher und überfordert fühlen, wenn sie auf einmal so vieles selbst bestimmen müssten. Auch die Angehörigen würde man vor den Kopf stossen, wenn man die Selbstbestimmung von einem Tag auf den andern umsetzen würde. Es ist ein Prozess, der Befähigung der Beteiligten, Vertrauen und Zeit braucht. Demenz - eine stark zunehmendes Phänomen und grosse Herausforderung für Alters- und Pflegeheime. Durchdachte Demenzkonzepte erhöhen nicht nur die Mitarbeiterzufriedenheit, sondern auch die Lebensqualität der Bewohnenden und dienen als Grundlage für die Qualitätssicherung und -entwicklung. Ich freue mich, dass die Schweizer Gemeinde dieses wichtige Thema aufgenommen und meinen Artikel zum Beispiel des Pflegeheims Lichtblick, der Gemeinnützigen Stiftung Eulachtal in Elgg, diesen Monat veröffentlicht hat. Die elterliche Erziehung spielt eine entscheidende Rolle für die Entwicklung von Kindern. Psychoanalytische Theorien betonen vor allem seit dem zwanzigsten Jahrhundert die Wichtigkeit von frühkindlichen Erfahrungen in den Familien. Diese Erfahrungen haben einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung von inneren Konflikten, Abwehrmechanismen und die Verinnerlichung von Werten und Normen. In diesem Artikel fasse ich für Sie zusammen was unter dem Begriff Erziehungsstil zu verstehen ist und welche Formen hierzu bekannt sind. Erziehungsstile Einleitend möchte ich gerne kurz aus wissenschaftlicher Sicht auf den Begriff «Erziehungsstil» eingehen. Unter dem Begriff Erziehungsstil wird eine relativ verfestigte situations- und zeitübergreifende Reaktion der Eltern, gegenüber ihren Kindern verstanden. Der Erziehungsstil lässt sich damit als eine übergeordnete Kategorie auffassen, die sowohl Erziehungseinstellungen, Erziehungsziele und Erziehungspraktiken beinhaltet. Ratzke, Gebhardt-Krempin und Zander (2008) definieren die elterliche Erziehungseinstellung als sogenannte Erlebensdispositionen, die auf der Erlebens- und Verhaltensebene die Qualität und Intensität der Eltern-Kind-Beziehung widerspiegeln. Einige Beispiele von Erlebensdispositionen sind das Mass an elterlicher Permissivität, Zärtlichkeit oder das Einfühlungsvermögen. Mit elterlichen Erziehungszielen hingegen sind Sollvorstellungen oder –anforderungen gemeint, welche Eltern im Erleben und Handeln ihrer Kinder realisiert haben wollen. Zu solchen Zielen gehören beispielsweise Normen, Selbstständigkeit und Leistungsorientierung. Elterliche Erziehungspraktiken beinhalten im Gegensatz zur Erziehungseinstellung und zu den Erziehungszielen, „konkrete verbale und nonverbale Handlungen der Eltern gegenüber ihren Kindern in bestimmten erziehungsrelevanten Situationen“. Beispiele hierfür sind Belohnungen für ein gewünschtes und Bestrafung für ein unerwünschtes Verhalten. Grundsätzlich werden beim elterlichen Erziehungsverhalten die beiden Variablen Emotionalität und Kontrolle als Grunddimensionen angesehen. Ergänzt werden diese durch die Konsistenz und die Konsequenzen im Erziehungsmilieu. Entscheidend ist somit die Qualität der emotionalen familiären Beziehung und wie Eltern ihre Emotionen und Kontrollmechanismen kommunizieren und begründen. Die amerikanische Psychologin Diana Baumrind hat um die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts mehrere Studien über die Verhaltensmuster von Eltern und ihren Kindern durchgeführt. Bei ihren Untersuchungen achtete sie auf die Funktionalität von elterlichen Erziehungspraktiken und deren Auswirkungen auf mehr oder weniger kompetente Heranwachsende. Kompetenz definierte Baumrind anhand zweier Kriterien: Einerseits müssen soziales Verantwortungsbewusstsein sowie soziale Fertigkeiten vorhanden sein und andererseits eine gewisse Unabhängigkeit und Selbstständigkeit. Aus ihren Studien leitete sie schliesslich drei grundlegende Erziehungsstile ab, welche im Folgendem genauer illustriert werden. Der autoritäre Erziehungsstil Eltern, die einen autoritären Erziehungsstil anwenden, versuchen das Verhalten und die Einstellungen ihrer Kinder zu formen und zu kontrollieren. Dabei orientieren sie sich an religiösen Normen, moralischen Vorstellungen oder an sozialen Konventionen. Von essenzieller Bedeutung beim autoritären Erziehungsstil sind traditionelle Werte wie Respekt und Gehorsamkeit gegenüber den Eltern. Es werden kontrollierende Verhaltensweisen als notwendig erachtet und gegebenenfalls auch unangemessenes Verhalten bestraft. Die Entscheidungsgewalt liegt ausschliesslich bei den Eltern, wobei den Kindern ebenfalls ihre Freizeitgestaltung vorgeschrieben wird. Reichle und Franiek (2009) haben in ihrer Studie den autoritären Erziehungsstil als „Machtvolle Durchsetzung“ bezeichnet. Darunter verstehen sie einen rauen und barschen Erziehungsstil, der mit Überreaktionen, Emotionaler negativen Stimmungen sowie mit Zwangs- und Kontrollaspekten verbunden ist. Sie setzen autoritäres Erziehungsverhalten dabei gleich mit dem Fehlen eines positiven Elternverhaltens. Dominierend sind sieben Dimensionen, die den Erziehungsstil auszeichnen: 1. Die Eltern haben die Entscheidungsmacht. 2. Es herrschen starre und unflexible Regeln. 3. Befehle sind häufig. 4. Über die Interessen der Kinder wird hinweggesehen. 5. Nebenwirkungen werden in Kauf genommen. 6. Eine starke Kontrollausübung ist wichtig und schliesslich 7. Es werden harte Bestrafungen – jedoch nicht in körperlicher Hinsicht – eingesetzt. Der autoritative Erziehungsstil In der autoritativen Erziehung begründen Eltern ihre Entscheidungen gegenüber ihren Kindern und erwarten ebenfalls Gehorsamkeit. Es werden Verhaltensstandards formuliert, welche die Kinder zu erfüllen haben. Im Gegensatz zur autoritären Erziehung begründen die Eltern diese Standards und wenden Restriktionen an, ohne die individuellen Wünsche der Kinder zu missachten. Eltern leiten somit ihre Kinder, indem sie ihr Verhalten und ihre Entscheidungen erklären. Beim autoritativen Erziehungsstil weisen die Eltern ein konsistentes Verhalten auf und folgen ihren normativen Überzeugungen und Ansprüchen. Zudem erwarten sie von ihren Kindern, dass sie zum Familienwohl beitragen, indem sie beispielsweise im Haushalt mithelfen. In Bezug auf die Eltern-Kind-Beziehung sind autoritative Eltern sehr fürsorglich, haben eine starke emotionale Verbindung zu ihren Kindern und unterstützen sie sowohl bei schulischen Anforderungen als auch bei ihren persönlichen Interessen. Der laissez-faire Erziehungsstil Der laissez-faire Erziehungsstil wurde von Baumrind in Bezug auf Familien in zwei Unterkategorien unterteilt. Dabei differenzierte sie zwischen einem permissiven und einem vernachlässigendem Erziehungsverhalten. Merkmale des permissiven Erziehungsstils Eltern, die ihre Kinder permissiv erziehen, verhalten sich meist liebevoll und unterstützend ihren Kindern gegenüber. Die Eltern verzichten grundsätzlich auf Strafen und autoritäre Durchsetzungspraktiken und begegnen ihren Kindern mit grosser Akzeptanz. Zudem werden Konfrontationen vermieden und es wird darauf verzichtet Grenzen konsequent durchzusetzen. Die Kinder sind hierbei von nahezu allen Zwängen befreit. Unter permissiv wird somit eine Erziehung verstanden, die einen geringen Anforderungs- und Kontrollcharakter aufweist und gekennzeichnet ist von akzeptierendem, sensiblem und kinderzentriertem Verhalten. Merkmale des vernachlässigenden Erziehungsstils Der vernachlässigende Erziehungsstil gleicht auf den ersten Blick dem permissiven, da von den Eltern ebenso keine Grenzen auferlegt werden und keine etablierten Strukturen vorhanden sind. Im Unterschied zum permissiven Erziehungsstil fehlt jedoch eine emotionale Bindung zwischen Kind und Eltern. Diese emotionale Kälte kann im Extremfall zur Kindesmisshandlung führen. Reichle und Franiek sehen vernachlässigendes Verhalten als „ablehnend, wenig sensibel, elternzentriert und ohne Anforderung und Kontrolle“ an. Der Erziehungsstil - Resultat der eigenen Erfahrungen Welches Erziehungsverhalten Eltern anwenden, hängt stark ab von den Erfahrungen, die sie in ihren Herkunftsfamilien gemacht haben. Durch die Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie werden Erziehungsstile einerseits weitergegeben oder andererseits bewusst durchbrochen. Die durch die Erziehung vermittelten Wertvorstellungen, Meinungen und Haltungen weisen für die Kinder einen prägenden Charakter auf. Zur Aufgabe der Eltern gehört es somit, ihren heranwachsenden Kindern soziale, kulturelle und gesellschaftliche Werte und Normen zu vermitteln, um zu gewährleisten, dass sie sich mit den Erwartungen und Anforderungen der Gesellschaft zurechtfinden. Hierzu ist zu beachten, dass Erziehungsstile abhängig sind von diesen Normen und Werten, wobei auch die persönlichen Eigenschaften der Eltern eine essenzielle Rolle spielen. Literatur und Tipps Ecarius, J. (Hrsg.) (2007). Familienerziehung. In: Handbuch Familie. Heidelberg: Springer (S.137-156). Kellerhans, J. (1994). In: Familie. Sieben Beiträge. Institut für Sozialethik (S. 8-19). Maccoby, E. E. (2000). Parenting and its effects on children – On reading and misreading behavior genetics. Anual Review of Psychology, 1, 1-27. Noack, P. & Kracke, B. (2003). Elterliche Erziehung und Problemverhalten bei Jugendlichen – Analysen reziproker Effekte im Längsschnitt. Zeitschrift für Familienforschung, 1, 25-37. Ratzke, K., Gebhardt-Krempin, S. & Zander, B. (2008). Diagnostik der Erziehungsstile. In: Cierpka, M. (Hrsg.), Handbuch der Familiendiagnostik (3. Aufl.) Heidelberg: Springer (S. 242-255). Reichle, B. & Franiek, S. (2009). Erziehungsstil aus Elternsicht – Deutsche erweiterte Version des Alabama Parenting Questionnaire für Grundschulkinder. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 41 (1), 12-25. Wild, E. & Lorenz, F. (2009). Familie. In: Wild, E. & Möller J. (Hrsg.), Pädagogische Psychologie. Heidelberg: Springer (S. 235-259).
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Sonja Gross Master of Arts in Erziehungswissenschaft
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