Die Zusammenarbeit mit Angehörigen stellt die Mitarbeitenden und die Institutionsleitung in Einrichtungen für erwachsene Menschen mit einer Behinderung immer wieder vor Herausforderungen. Denn häufig findet die Zusammenarbeit statt in einem Spannungsfeld zwischen Mitbestimmung der Angehörigen, welche oftmals auch die rechtlichen Vertretungen sind, und der Selbstbestimmung der Klient*innen. Oftmals ist die Beziehung zu den Eltern sehr eng und es ist eine Herausforderung, diese nach ihren Vorstellungen einzubeziehen und gleichzeitig die Privatsphäre und die Wünsche der Klient*innen zu respektieren. Umso wichtiger ist ein fundiertes Konzept, an dem sich sowohl die Mitarbeitenden als auch die Angehörigen, rechtlichen Vertretungen sowie die Klient*innen orientieren können. Dieses dient als Grundlage für die Zusammenarbeit und klärt die Ziele, Haltungen und Rahmenbedingungen. Leider gibt es, anders als im Alters- und Pflegebereich, aber kaum spezifische Literatur, Handlungsempfehlungen oder Standards, an denen man sich hierbei orientieren könnte. Mit diesem Artikel möchte ich dazu beitragen, diese Lücke zu füllen. Bedeutung der Angehörigen bzw. rechtlichen Vertretungen Zu den Angehörigen zählen die Eltern, aber auch Geschwister und weitere Verwandte sowie andere Personen, die mit der Klientin oder dem Klienten eng verbunden sind. Oftmals übernehmen Angehörige wie bereits erwähnt eine Doppelfunktion, indem sie gleichzeitig auch die rechtliche Vertretung sind. Sie verfügen durch ihre langjährige Erfahrung über viele Kenntnisse und Kompetenzen über die Klientin oder den Klienten, die eine wertvolle Ressource darstellen und hilfreiche Hinweise für die Begleitung und Betreuung darstellen. Eine gute Zusammenarbeit zeichnet sich dadurch aus, dass dieses Wissen optimal zugunsten der Klientin oder des Klienten eingesetzt werden kann unter gleichzeitiger Berücksichtigung seiner oder ihrer Wünsche und Privatsphäre. Häufig ist dies ein Balanceakt, denn das Wissen und das oftmals damit verbundene hohe Engagement bergen auch viel Konfliktpotenzial. Ungelöste Konflikte schaden nicht nur der Reputation bzw. dem Image der Institution, sondern wirken sich auch mittelbar emotional auf die betroffenen Klient*innen aus. Dies kann sich beispielsweise ausdrücken in Verhaltensauffälligkeiten, Wut oder Depressionen. Gelingt es, die Konflikte gemeinsam anzugehen und zu lösen, kann dies massgeblich zur qualitativen Weiterentwicklung und Professionalisierung der Institution beitragen. Alles gute Gründe, sich proaktiv mit dem Thema Angehörigenarbeit auseinanderzusetzen und wichtige Grundlagen für Struktur und Prozess festzuhalten. Austausch und Kontaktpflege Viele Überlegungen sind analog der Angehörigenarbeit im Alters- und Pflegebereich. Ich fasse sie im Folgenden nochmals kurz zusammen: Zugrundeliegende Haltung Es lohnt sich, die zugrundeliegende Haltung zu definieren. Was erwarten Sie von Ihren Mitarbeitenden, aber auch von den Angehörigen in Bezug auf die Zusammenarbeit? Information der Angehörigen bzw. rechtlichen Vertretungen Des Weiteren ist es wichtig festzulegen, welche Informationen auf welchem Weg durch wen und innerhalb von welchem Zeitraum weitergegeben werden. Gegenseitiger Informationsaustausch, Kontakt-/ Beziehungspflege Eine gute Zusammenarbeit setzt Informationsaustausch in beide Richtungen voraus. Insbesondere beim Eintritt lohnt es sich, bei den Angehörigen systematisch Informationen abzuholen und zu dokumentieren. Dabei handelt es sich allerdings um einen stetigen Prozess, der danach nicht abgeschlossen ist und im Alltag weitergelebt werden muss. Um dies zu gewährleisten, sollten entsprechende Massnahmen und Verantwortlichkeiten festgelegt werden. Beschwerdemanagement Ein geregeltes Beschwerdemanagement ist zentral, um Konflikte und Spannungen frühzeitig zu lösen und Rückmeldungen konstruktiv zur Weiterentwicklung der Institution nutzen zu können. Der Prozess und die Verantwortlichkeiten im Beschwerdemanagement sollten transparent und verständlich festgehalten und den Angehörigen bzw. rechtlichen Vertretungen, aber auch den Mitarbeitenden kommuniziert werden. Einbezug und Mitbestimmung Voraussetzung für das Gelingen der Zusammenarbeit ist die Klärung von Erwartungen und Verantwortlichkeiten: Wie viel Mitbestimmung ist gewünscht? Wo und in welchem Rahmen dürfen Angehörige bzw. rechtliche Vertretungen mitbestimmen? Wo ist die Grenze? Basis dieser Klärung sollte immer der rechtliche Rahmen sein. Zu diesem gehört das aktuelle Erwachsenenschutzgesetz (im Zivilgesetzbuch, ZGB), das seit 1. Januar 2013 in Kraft ist. Es regelt die behördlichen Massnahmen zum Schutz von erwachsenen Personen, die hilfs- oder schutzbedürftig sind. Insbesondere folgende Punkte sind ausschlaggebend: Urteilsfähigkeit Bei Fragen und Entscheidungen, in denen der Klient oder die Klientin urteilsfähig ist, entscheidet er oder sie grundsätzlich selbst. Der Klient oder die Klientin entscheidet auch darüber, ob und inwiefern die rechtliche Vertretung oder die Angehörigen einbezogen werden sollen. Definierte Beistandschaft Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde, KESB, errichtet dann eine Massnahme, wenn eine Person nicht in der Lage ist, ihre Angelegenheiten selbst zu besorgen. Dabei wird immer die Wahrung der grösstmöglichen Selbstbestimmung beabsichtigt. Aus diesem Grund werden 4 verschiedene Arten von Beistandschaft unterschieden und darüber hinaus bestimmte Themenbereiche festgelegt, so dass die Massnahme auf die Unterstützungsbedürfnisse der jeweiligen Person abgestimmt ist. Eine Beistandschaft kann von Angehörigen oder von Professionellen übernommen werden. Diese werden als rechtliche Vertretung bezeichnet. In welchen Angelegenheiten die rechtliche Vertretung unterstützend begleitet oder die Klientin oder den Klienten vertritt, wird im Dispositiv festgehalten. Höchstpersönliche Rechte Es gibt höchstpersönliche Rechte, die «einer Person um ihrer Persönlichkeit willen zustehen». Diese Rechte können auch von handlungsunfähigen Personen, zum Beispiel von Personen mit einer umfassenden Beistandschaft oder von minderjährigen Personen, wahrgenommen werden, falls sie urteilsfähig sind. Unter diese höchstpersönlichen Rechte fällt zum Beispiel, das Recht …:
Die rechtliche Vertretung ist bei solchen Angelegenheiten nicht berechtigt, in Vertretung einer urteilsfähigen Person zu handeln. Ausnahmen können sich höchstens in Notfällen zum Schutz der Person oder Dritter ergeben (z. B. eine medizinisch notwendige Operation) oder bei Kindern bis 18 Jahren auch aus überwiegend erzieherischen Gründen. Datenschutz und Schweigepflicht Mitarbeitende sowie die Leitung einer Institution unterstehen der Schweigepflicht. Für einen Informationsaustausch mit Angehörigen bzw. der rechtlichen Vertretung muss eine der folgenden Voraussetzungen erfüllt sein:
Die Klient*innen stehen im Mittelpunkt Ist der Klient oder die Klientin einer bestimmten Angelegenheit urteilsfähig, dann entscheidet immer sie oder er selbst über die Angelegenheit! Ein Informationsaustausch findet nur statt, wenn die Klientin oder der Klient das möchte. Ausnahmen werden dann gemacht, wenn dienstlich gewonnene Kenntnisse ein Tätigwerden der KESB zum Schutz der Klientin oder des Klienten oder einer dritten Person notwendig machen. Schulung des Personals Damit die im Konzept festgehaltenen Überlegungen im Alltag gelebt werden, muss das Personal über das notwendige Wissen verfügen und die Haltung verinnerlicht haben. Dazu empfiehlt sich eine solide Einführung und Schulung des Personals im Umgang mit Angehörigen, im Umgang mit Kritik und Beschwerden, den Rollen und Verantwortlichkeiten, der Gesprächsführung und den rechtlichen Rahmenbedingungen. Conceptera bietet zu diesen Themen auch In-House-Schulungen an, die speziell auf Ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind. Literatur Daneke, Sigrid (2010): Achtung, Angehörige! Kommunikationstipps und wichtige Standards für Pflege- und Leitungskräfte. Hannover: Schlütersche. Ugolini, Bettina (2014): Umgang mit Angehörigen: Wie Institutionen der Alterspflege wertschätzend mit Wünschen, Anliegen und Beschwerden von Angehörigen umgehen können – ein Leitfaden. Bern: Curaviva.
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Sonja Gross Master of Arts in Erziehungswissenschaft
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