Conceptera hat gemeinsam mit den Verantwortlichen für die Jugendarbeit der katholischen Kirche, genauer des Bistums St. Gallen, ein Qualitätslabel für jugendfreundliche Kirchgemeinden bzw. Seelsorgeeinheiten entwickelt. Aber wozu braucht es ein Label? Wie wurde das Label entwickelt? Und was macht denn nun eine jugendfreundliche Kirchgemeinde aus? Linus Brändle von der diözesanen Fachstelle kirchliche Jugendarbeit Bistum St. Gallen, kurz DAJU, und Nelum Rohner von der Fachstelle für kirchliche Jugendarbeit Uznach, kurz akj Uznach, erzählen im Interview mehr über das Label, dessen Zweck und den Erarbeitungsprozess. Wozu braucht es ein Label? Sonja Gross (Conceptera): Anders als in der Warenproduktion ist die Qualität bei der Begleitung von Menschen oft nicht sofort sichtbar oder messbar. Genau deshalb machen Qualitätsstandards und Labels Sinn: Mithilfe von diesen kann man die Qualität der Angebote und der Begleitung zumindest ein Stück weit messen, reflektieren und weiterentwickeln. Im Mai 2022 seid ihr auf mich zugekommen mit der Idee, Seelsorgeeinheiten mit qualitativ hochwertiger Jugendarbeit auszuzeichnen. Ihr wolltet einen Leitfaden erstellen mit Kriterien, um die Qualität zu prüfen und an um Kirchgemeinden, die die Kriterien erfüllen, ein Label zu vergeben. Wieso? Wozu? Linus Brändle (DAJU): Das Unterwegssein mit jungen Menschen muss aktiv und engagiert an der Zielgruppe und deren Bedarf ausgerichtet werden, damit es gelingen kann. In unserer Wahrnehmung gibt es Seelsorgeeinheiten, die das zwar tun, aber in der Öffentlichkeit wird noch wenig davon wahrgenommen. Andere Seelsorgeeinheiten haben diese Aufgabenstellung aus dem Blick verloren und es bräuchte einen verstärkten Anreiz, der Jugendpastoral wieder eine stärkere Bedeutung zu schenken. Mit dem Label möchten wir diejenigen Seelsorgeeinheiten auszeichnen und bestärken, welche mit einer vorbildlichen Qualität in die Jugendarbeit investieren. Gleichzeitig soll das Label ein Anreiz für andere Seelsorgeeinheiten sein, ihre Jugendarbeit gezielt weiterzuentwickeln, auch damit sie ebenfalls mit einem «jugendfreundlich Label» ausgezeichnet werden. Uns ist es wichtig, in der Öffentlichkeit zu zeigen, dass die kirchliche Jugendarbeit eine wichtige und professionell fundierte Arbeit leistet. Wie wurde das Label entwickelt? Sonja Gross (Conceptera): Gemeinsam haben wir die Meilensteine festgelegt, die es für ein solches Vorhaben braucht: Zunächst einmal ging es darum zu erarbeiten, was eine jugendfreundliche Seelsorgeeinheit ausmacht und die entsprechenden Qualitätsmerkmale zu definieren. Danach haben wir die einzelnen Schritte für den Zertifizierungs- und Auditprozess festgelegt und schliesslich einen Leitfaden erstellt, an dem sich interessierte Kirchgemeinden orientieren können. Ausserdem musste ein attraktives Label erstellt werden und auch die Marketingstrategie durfte nicht zu kurz kommen. Wie habt ihr den Prozess erlebt? Welche Schritte waren für euch besonders bedeutsam? Linus Brändle (DAJU): Die Idee, ein Tool zu entwickeln, das für engagierte Jugendarbeitsteams verlockend und bestärkend ist, hat mich fasziniert. Ich war mir bewusst, dass es anspruchsvoll wird, die Qualitätsmerkmale eindeutig festzulegen und die Abläufe der Labelvergabe zu standardisieren. Unter der Leitung von Sonja Gross ist es dem Team aus DAJU- und Akj-Leuten gelungen, eine gute Basis auszuarbeiten. Es brauchte dazu mehrere Vernehmlassungsschlaufen mit den Mitgliedern der DAJU-akj-Zusammenarbeit und die Abstimmung mit der Bistumsleitung, welche diese Erarbeitung finanzierte. Nelum Rohner (akj): Der Prozess war aufregend, intensiv und inspirierend. Für mich war die Entwicklung der Qualitätsmerkmale am bedeutsamsten, da es dadurch Fleisch am Knochen gab. Ich war froh, dass Sonja Gross den Lead übernommen und alles verschriftlicht hat und einen Rahmen und ihr Fachwissen eingebracht hat. Was macht eine jugendfreundliche Kirchgemeinde aus? Sonja Gross (Conceptera): Um professionelle Jugendarbeit zu betreiben, müssen eine Vielzahl von Faktoren berücksichtigt werden: Eine gute Programmidee allein reicht nicht aus. Damit es ein pädagogisch wertvolles Angebot ist, das die Jugendlichen in ihrer Entwicklung und Identitätsfindung unterstützt, müssen die Ziele, das Angebot und die pädagogische Begleitung aufeinander abgestimmt und konzeptionell durchdacht werden. Dazu braucht es das richtige Personal und geeignete Rahmenbedingungen, wie eine adäquate Infrastruktur und vorhandene Finanzen. Schliesslich muss das Angebot aber auch immer wieder ausgewertet werden, um die Qualität nachhaltig zu sichern und weiterzuentwickeln. Was macht eine jugendfreundliche Kirchgemeinde aus eurer Sicht aus? Welches sind die wichtigsten Qualitätsmerkmale? Könnt ihr vielleicht 1, 2 Beispiele nennen? Linus Brändle (DAJU): Kirchliche Jugendarbeit wird von motivierten und engagierten Menschen getragen. Dabei braucht es ein gutes Zusammenspiel von Jugendarbeitenden, die Arbeitszeit für diese Aufgaben einsetzen können, mit Freiwilligen, die ihre Zeit in die Jugendarbeit investieren und mit Menschen, die mit kleinen Anstellungsprozenten mitarbeiten. Diese Menschen müssen Zeit und das Geschick haben, immer wieder mit jungen Menschen in Begegnung zu gehen. Sie entwickeln gemeinsam Projekte und Vorhaben für gemeinsame Wegstücke oder sind einfach da, wenn sie gebraucht werden. Diese Menschen verkörpern die Jugendarbeit. Die Institution als solche kann die Jugendarbeit nicht tragen, aber sie kann sie ermöglichen und fördern. Nelum Rohner (akj): Für mich ist eine Seelsorgeeinheit jugendfreundlich, wenn der bzw. die Jugendliche im Zentrum steht mit seinen bzw. ihren Bedürfnissen und nicht, wenn sie beim Sonntagsgottesdienst ersichtlich ist. Das wichtigste Qualitätsmerkmal ist für mich ist, dass sie Raum für ihre Persönlichkeitsentwicklung haben und diesen frei gestalten können sowie sie eine ausgebildete Fachperson der Sozialen Arbeit ihnen zur Seite steht. Sonja Gross (Conceptera): Herzlichen Dank für das Gespräch und für die großartige Zusammenarbeit!
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Die Frage nach Qualität in sozialen Einrichtungen gewinnt immer mehr an Bedeutung. Qualität ist das neue Ziel sozialer Organisationen. Doch: Was bedeutet Qualität im Sozialbereich? Und aus wessen Sicht wird Qualität festgelegt? Qualität in sozialen Organisationen findet im sozialrechtlichen Dreieck statt Eine allgemeingültige Definition vom Begriff «Qualität» gibt es nicht. Das Qualitätsmanagement-System ISO 9000 erklärt den Qualitätsbegriff als: «Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale Anforderungen erfüllt» (DIN EN ISO 9000) Das Gabler Wirtschaftslexikon definiert Qualität als: «Übereinstimmung von Leistungen mit Ansprüchen. Ansprüche stellen Kunden, Verwender (Konsument/Produzent), Händler und Hersteller.» (Gabler Wirtschaftslexikon) In sozialen Institutionen gibt es drei verschiedene Anspruchsgruppen. Das sogenannte "sozialrechtliche Dreieck" stellt sie und ihren Zusammenhang dar. Die drei Ecken setzen sich, entsprechend der Abbildung, wie folgt zusammen: 1. Aus den Leistungsberechtigten bzw. die Klientel, die Anspruch auf eine Leistung haben, 2. dem Leistungserbringer, das ist die soziale Institution, welche die Dienstleistung ausführt und schliesslich 3. dem Leistungsträger, der die Leistung finanziert. Die Institution bzw. der Leistungserbringer, hat mit dem Leistungsträger einen Vertrag, in dem Inhalt, Umfang, aber auch Qualität der Leistung und deren Vergütung festgehalten werden (sog. Leistungsvereinbarung). Aber nicht nur der Leistungsträger, auch die Empfänger der Dienstleistung, die Klient*innen, stellen Ansprüche an die Qualität. Ebenso haben die soziale Institution und ihre professionellen Mitarbeitenden Ansprüche an die Qualität der Leistung. Qualität in sozialen Organisationen findet also im sogenannten sozialrechtlichen Dreieck statt. Ganz im Gegensatz zum profitorientierten Sektor, wo die Kund*innen die Qualitätsstandards setzen. Schon deswegen kann Qualität im Sozialbereich nicht allgemeingültig und objektiv bestimmt werden. Vielmehr handelt es sich um eine subjektive Bewertung des Nutzens durch die Klient*innen, den Kostenträger und aus Sicht der betreuerischen, sozialpädagogischen oder pflegerischen Fachpersonen. Die verschiedenen Anspruchsgruppen haben je eigene, unterschiedliche Vorstellungen und Werte. Schliesslich kann bspw., was für Bewohner*innen wünschenswert ist, aus sozialpädagogischen Überlegungen negativ zu beurteilen sein oder aus der Sicht der Kostenträger zu teuer sein. Deswegen gilt: Qualität ist eine Frage der Perspektive. Dementsprechend kann Qualität unterschiedlich definiert werden. 4 ausgewählte Definitionen von "Qualität" Je nach Sichtweise wird Qualität anders definiert. Im Folgenden möchte ich euch deshalb vier bekannte Definitionen vorstellen. 1) Fünf Sichtweisen von Qualität nach Garvin Nach Garvin (1988) gibt es fünf verschiedene Sichtweisen, wie man Qualität beschreiben kann:
2) Grundsätze des Qualitätsmanagements der ISO 9000:2005 Die ISO enthält einen Mindeststandard an Forderungen, nach dem das Qualitätsmanagementsystem in Unternehmen zu gestalten ist. Danach sind zentrale Dimensionen:
3) Qualitätsdimensionen nach Donabedian (1966) Avis Donabedian hat als einer der ersten den Qualitätsbegriff auf den Gesundheitsbereich übertragen, ursprünglich mit Blick auf die medizinische und pflegerische Versorgung. Er hat Qualität in drei Dimensionen unterteilt: Strukturqualität, Prozessqualität und Ergebnisqualität. Die Strukturqualität ... betrifft die strukturellen Bedingungen. Dazu gehören die Voraussetzungen und die gegebenen Rahmenbedingungen, über welche die Institution verfügt. Die Frage, die hier beantwortet wird, ist: Mit welcher Struktur werden die Ziele erreicht?
Donabedian geht davon aus, dass alle drei Qualitätsdimensionen in einem Zusammenhang stehen und sich gegenseitig beeinflussen. Die Strukturen wirken auf die Prozesse und diese bestimmen die Ergebnisqualität, welche wiederum das Planen von Veränderungen bei Prozessen und Strukturen hervorrufen wird. Dabei dient die Struktur als Basis für gute medizinische und pflegerische Leistungen und der Prozessqualität kommt für die Erzielung ebendieser eine hervorgehobene Bedeutung zu. Wegen seiner Anschaulichkeit und Praktikabilität wurde dieses Konzept zunächst in anderen Bereichen des Gesundheitswesens aufgegriffen und wird inzwischen auch im Sozialbereich angewendet. In Deutschland fordert selbst der Gesetzgeber den Nachweis dieser drei Qualitätskriterien. 4) Zentrale Qualitätsdimensionen für die Soziale Arbeit der Hochschule HSA Bern Im Rahmen einer Forschungs- und Entwicklungsarbeit hat die Hochschule für Sozialarbeit Bern (HSA) folgende fünf Aspekte von Qualität für die Soziale Arbeit definiert: 1. Die strategischen Rahmenbedingungen Das heisst, der Auftrag muss geklärt sein und die Strategie festgelegt werden, zum Beispiel anhand von Leistungskatalogen und Leitlinien. 2. Die Fachqualität Die Fachqualität bezieht sich auf die konzeptionelle Klarheit, die systematische Arbeitsweise und Dokumentation. Es müssen Konzepte und Handlungsanweisungen bestehen, welche die Kernprozesse detailliert beschreiben. Die Arbeit muss systematisch reflektiert und dokumentiert werden. Darüber hinaus muss das Leistungsangebot für die Klientel klar sein. 3. Die Managementqualität Ein Managementkonzept muss vorhanden sein. Darin werden Stellen, Aufgaben, Verantwortungen und Zeitbudgets für die Managementfunktionen beschrieben: Strategie- und Zieldefinition, Planung, Organisation, Ressourcensteuerung und -einsatz, Controlling sowie auch die Kontrolle und Entscheidungsfindung im laufenden Alltag. 4. Die Anspruchsgruppenqualität Die Kooperation und der Einbezug der Rückmeldungen der Anspruchsgruppen sind ebenfalls wichtiger Bestandteil, um Qualität herzustellen. 5. Die Mitarbeitendenqualität Dieser Aspekt bezieht sich unter anderem auf die Personalführung, die Personalentwicklung und Mitwirkungsmöglichkeiten des Personals. Qualität ist ein Balanceakt Qualität ist Ziel aller sozialer Organisationen. Nicht umsonst haben Qualitätssicherung und -Entwicklung in den meisten Konzepten ein eigenes Kapitel erobert. Bei der Umsetzung besteht die eine Herausforderung darin, eine Balance zwischen den Ansprüchen an Wirtschaftlichkeit und Qualität zu halten. Ist der Fokus zu stark auf Wirtschaftlichkeit ausgerichtet, so leidet die Qualität. Die andere Herausforderung im Umgang mit Qualitätssicherung ist, dass sich Qualität im sozialen Bereich nicht wie ein Warenstück messen lässt – sie ist nicht berechenbar. Welche Ansätze es zur Entwicklung, Sicherung und Überprüfung von Qualität gibt, darauf gehe ich in meinem nächsten Artikel im März 2019 ein. Literatur und Links INSOS: Nationaler Branchenverband der Institutionen für Menschen mit Behinderung. Online: https://www.insos.ch/ (letzter Zugriff: 1.2.2019). Iseli, Daniel (2003): Qualität: die entscheidende Frage für die Soziale Arbeit? In: sozialaktuell, Neue Praxis. Online: http://www.avenirsocial.ch/sozialaktuell/sozial_aktuell_3080_3083.pdf (letzter Zugriff: 1.2.2019). ISO: International Organization for Standardisation. Online: https://www.iso.org (letzter Zugriff: 1.2.2019). Peterander, Franz/Speck, Otto (Hrsg.) (2004): Qualitätsmanagement in sozialen Einrichtungen. Ernst Reinhardt Verlag. München, Basel. Vomberg, Edeltraud (2010): Praktisches Qualitätsmanagement. Ein Leitfaden für kleinere und mittlere soziale Einrichtungen. Kohlhammer Verlag, Stuttgart.
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Sonja Gross Master of Arts in Erziehungswissenschaft
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