Von der Pflege zu «Pflege und Betreuung» «Xund, satt, suuber» – Altersheime haben ihre Leistung lange Zeit danach ausgerichtet. Die Pflege stand im Zentrum und es wurde davon ausgegangen, dass es einer Person gut geht, wenn man sie rundum versorgt und sich gut um sie kümmert. Die Anforderungen haben sich aber, ebenso wie die Definition von Lebensqualität gewandelt. Für eine gute Lebensqualität braucht es mehr als körperliche Versorgung, denn nebst dem körperlichen Wohlbefinden ist auch das psychosoziale Wohlbefinden von grosser Bedeutung. Deshalb reicht heute Pflege allein nicht mehr aus und es braucht Pflege und Betreuung. «Um auch im Alter selbstbestimmt und gesund zu leben und am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können, müssen Betagte auf Betreuungs- und auf Pflegeleistungen zählen können» (Pardini, Heinzmann, Knöpfel 2020, S. 5). Neben der körperlichen Gesundheit haben Aspekte wie Selbstbestimmung und Teilhabe an Bedeutung gewonnen. Dazu sind vermehrt Betreuungs- und Begleitleistungen, wie sie in Institutionen aus dem Behindertenbereich erbracht werden, gefragt. Was bedeutet Betreuung im Kontext von Alters- und Pflegeheimen? Und was macht eine «gute Betreuung» in Alters- und Pflegeheimen aus? Diese Fragen sollen im Folgenden näher beleuchtet werden. Was bedeutet Betreuung im Kontext von Alters- und Pflegeheimen? In diesem Zusammenhang interessant sind zwei Grundlagenpapier, die im März und Mai 2020 von der Fachhochschule Nordwestschweiz im Rahmen einer Studie der Paul Schiller Stiftung veröffentlicht wurden. Im ersten Grundlagenpapier gehen die Autor*innen Riccardo Pardini, Claudia Heinzmann und Carlo Knöpfel dem Begriff «Betreuung» im Kontext Alter auf den Grund. Anhand von Literatur- und Internetrecherche untersuchen sie diesen Begriff in Abgrenzung zu weiteren relevanten Begriffen im Altersbereich wie «Care- und Sorgearbeit» oder «Hilfe und Alltagsassistenz». Betreuung bedeutet ältere Menschen zu unterstützen, wenn sie ihre Bedürfnisse im Alltag aufgrund ihrer Lebenssituation und einer Beeinträchtigung nicht mehr gemäss ihren Vorstellungen selbstständig erfüllen können. Dazu gehört gleichermassen emotionale Unterstützung wie das Zuhören, das Ermöglichen von sozialer Teilhabe oder Unterstützung bei der Alltagsbewältigung wie Waschen, Einkaufen oder Begleit- und Fahrdienste. Die Palette ist breit, denn fast jede unterstützerische Tätigkeit kann Betreuung beinhalten. Im Unterschied zur Pflege ist Betreuung eine Form von Unterstützung, die zum Ziel hat, den Klient*innen trotz ihrer Einschränkungen zu ermöglichen, ihren Alltag selbstständig gestalten sowie am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Selbstbestimmtheit, Wohlbefinden und innere Sicherheit sind zentrale Ziele von Betreuung. Was ist «gute Betreuung»? Schon bei der Definition von Betreuung kam zum Ausdruck, worauf diese abzielt. Gute Betreuung rückt neben der physischen Gesundheit die «Funktionale Gesundheit» ins Zentrum. Das Modell der «Funktionalen Gesundheit», entwickelt von der WHO, bildet das komplexe Zusammenspiel zwischen den unterschiedlichen Faktoren in Bezug auf Gesundheit bzw. Beeinträchtigung und Krankheit ab. Es wird davon ausgegangen, dass die Gesundheit nicht nur vom Körper einer Person abhängt, sondern das Ergebnis verschiedener Wechselwirkungen mit der Umwelt darstellt. Gesundheit ist demnach nicht nur das reibungslose Funktionieren des Körpers, sondern beinhaltet auch Aktivität und Teilhabe an der Gesellschaft. Eine gute Betreuung berücksichtigt deshalb nebst dem Erhalt und der Förderung der körperlichen und geistigen Fähigkeiten auch die Lebenswelt und zielt darauf ab, älteren Menschen die Möglichkeit zu geben, ihr Leben möglichst selbstbestimmt und selbstständig zu gestalten sowie an normalen Aktivitäten und an der Gesellschaft teilzuhaben. Erwin Böhme beobachtete und proklamierte bereits in den 1990er Jahren, dass es für die Lebensqualität älterer Menschen zentral ist, die Selbstpflege und Selbstfürsorge solange wie möglich zu erhalten bzw. wiederherzustellen. Gute Betreuung sollte also auf «Hilfe zur Selbsthilfe» abzielen. Allerdings sind nicht alle Aspekte von Lebensqualität universal. Lebensqualität ist subjektiv: Während für die einen ein guter Röstkaffee am Morgen Lebensqualität bedeutet, bedeutet es für die anderen regelmässig zu jassen, Sexualität zu leben oder ans Meer zu fahren. Gute Betreuung kann deshalb nicht für jede Person gleich definiert werden. Stattdessen richtet sie sich an den Bedürfnissen der Person aus. 7 Leitlinien für die Umsetzung In ihrem zweiten Grundlagenpapier gehen die Autor*innen folgender Frage nach: «Wie muss Betreuung im Alter aus ethischer und menschenrechtlicher Perspektive aussehen?» Ihre Ergebnisse fassen sie in 7 Leitlinien, die als Anhaltspunkte für die Umsetzung «guter Betreuung» dienen sollen, zusammen. Die Leitlinien umfassen folgende Punkte:
Selbstbestimmung, Teilhabe, Partizipation, Ganzheitlichkeit, Funktionale Gesundheit, Systemische Sichtweise und Bedürfnisorientierung sind zusammengefasst einige der Grundpfeiler für die Betreuung von älteren Menschen. Mit – neben der Pflege – zunehmender Wichtigkeit der Betreuung steigen auch die Komplexität sowie die Anforderungen an die Fachpersonen. Nicht nur gelerntes medizinisches Wissen, sondern eine gemeinsame Haltung im Umgang mit den Klient*innen ist gefragt. Dies kann zu Verunsicherung, aber auch zu Konflikten und Unzufriedenheit im Fachteam führen. Es lohnt sich deshalb, die Grundsätze und Ausrichtung der Pflege und Betreuung in einem Konzept festzuhalten sowie fundiert einzuführen, damit alle an einem Strang ziehen. Dies führt nicht nur zu einer höheren Lebensqualität für die Bewohnenden, sondern auch für die Fachpersonen! Literatur und Tipps Böhm, Erwin (2009): Psychobiografisches Pflegemodell nach Böhm. Wien: Maudrich. CURAVIVA (2014): Lebensqualitätskonzeption. Für Menschen mit Unterstützungsbedarf. Bern: https://www.curaviva.ch/files/P9VUIZ0/lebensqualitaetskonzeption__curaviva_schweiz__2017.pdf oder https://www.curaviva.ch/Dienstleistungen/Verlag/PRO3p/?id=2FC538A0-89CB-4B1D-852A432EB6223D56&method=objectdata.detail&p=1&callerid=&keyword=Lebensqualit%C3%A4tskonzeption (Zugriffsdatum 17.8.2020). Knöpfel, Carlo/Pardini, Riccardo/Heinzmann, Claudia (2020): Wegweiser für gute Betreuung im Alter. Grundlagenpapier 1: Was ist Betreuung im Alter? Fachhochschule Nordwestschweiz, Hochschule für Soziale Arbeit. Knöpfel, Carlo/Pardini, Riccardo/Heinzmann, Claudia (2020): Wegweiser für gute Betreuung im Alter. Grundlagenpapier 2: Wie muss Betreuung im Alter aus ethischer und menschenrechtlicher Perspektive aussehen? Fachhochschule Nordwestschweiz, Hochschule für Soziale Arbeit. Knöpfel, Carlo/Pardini, Riccardo/Heinzmann, Claudia (2018): Gute Betreuung im Alter in der Schweiz. Zürich: Seismo Verlag. Schuntermann, Michael F. (2013): Einführung in die ICF. Grundkurs – Übungen – offene Fragen. Heidelberg u. a.: Ecomed Medizin.
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Sonja Gross Master of Arts in Erziehungswissenschaft
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