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Sexualität und Recht bei Menschen mit geistiger Behinderung: Wie viel Selbstbestimmung ist möglich, wie viel Schutz nötig?

30/9/2019

2 Kommentare

 
Karl, ein Bewohner des stationären Wohnheims, kommt mit dem Wunsch zur Betreuerin, dass seine Freundin Lisa in seinem Zimmer übernachtet. Karl ist 25 und Lisa 19 Jahre alt. Sie sind seit ein paar Wochen ein Paar und schmusen gerne miteinander. Beide haben eine geistige Behinderung.
Soll die Betreuerin dem Wunsch nachkommen? Was, wenn sie Sex haben und Lisa womöglich schwanger wird? Müssen die Eltern zuerst gefragt oder zumindest informiert werden?

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Sexualität im Spannungsfeld zwischen Selbstbestimmung und Schutz
Menschen mit geistigen Behinderungen haben ein Recht auf sexuelle Entfaltung im Rahmen ihrer Möglichkeiten, Fähigkeiten und Bedürfnisse. Die sexualbiologische Entwicklung verläuft in den meisten Fällen altersgemäss und unabhängig von intellektuellen Fähigkeiten.
Bedürfnisse und Wünsche der Klient*innen zu Partnerschaft, Sexualität und Liebe müssen deshalb ernstgenommen werden und es muss ihnen nachgegangen werden. Dabei kann ein Spannungsfeld entstehen zwischen der Wahrung des Selbstbestimmungsrechts der Klient*innen und dem Schützen vor Grenzverletzungen. Denn einerseits sollen erwachsene Menschen selbst bestimmen und gleichzeitig sollen sie vor möglichen Übergriffen und schlechten Erfahrungen geschützt werden.  
Im Folgenden fasse ich für Sie die grundlegendsten Gesetze zusammen, an denen Sie sich in dieser oder einer ähnlichen Situation orientieren können.
 
Wer darf Sex haben?
In der Bundesverfassung untersteht das Recht auf Sexualität dem Grundrecht der persönlichen Freiheit (vgl. Art. 10). Ausserdem handelt es sich um ein höchstpersönliches Recht und um ein Menschenrecht, das auch in der BRK verankert ist.
 
Alle, die urteilsfähig sind, dürfen selber über ihre Sexualität entscheiden.
Es folgen zwei wichtige Fragen, um zu entscheiden, ob jemand urteilsfähig ist, sind:

  1. Kann die Person die Situation beurteilen und ist sie sich über die Konsequenzen der Entscheidung bewusst?
    Dabei geht es um ein (äusserst) grobes Abschätzen-Können der Konsequenzen. Wissen beide was Sexualität und was Sex ist? Was Verhütung bedeutet? 
  2. Kann sich die Person aufgrund gewonnener Einsicht und eigener Motive einen eigenen Willen bilden, um zwischen verschiedenen Möglichkeiten eine Entscheidung zu treffen?
    Bei dieser Frage geht es darum, ob Lisa und Karl einen eigenen Willen haben und zum Ausdruck bringen können, was sie wollen. Karl hat seinen Willen mit dem Wunsch, im selben Zimmer zu schlafen, zum Ausdruck gebracht. Nun geht es darum, den Willen von Lisa herauszufinden. Kann sie auf die Frage „Was möchtest du?“ eine klare Antwort geben?  Kann sie verbalisieren, dass sie mit ihm zusammen sein will?
 
Nicht immer kann eine Person das direkt so formulieren. Manchmal ist Urteilsfähigkeit deshalb schwierig abzuschätzen und nachzuweisen. In diesen Fällen ist es wichtig, auch kleine Hinweise wahrzunehmen.

Zum Beispiel:
Lisa hat ihre Fingernägel rot angemalt.
„Lisa, ich sehe, du hast deine Nägel rot angemalt?“
„Ja…“
„Wieso?“
„Ich glaube, das gefällt Karl.“
 
Das ist ein Hinweis auf ihre Urteilsfähigkeit und ihren Willen, mit Karl zusammen zu sein.
Solche und ähnliche Hinweise sollten gesammelt und gut dokumentiert werden.  
Sind sich die Fachpersonen Betreuung ganz und gar unsicher, ob die Person urteilsfähig ist, kann ein*e Sozialpsychiater*in hinzugezogen werden.
 
Die sexuelle Selbstbestimmung kann in drei Fällen eingeschränkt werden:
  1. Schutz von anderen Klient*innen oder des Personals: Der Arbeitgeber hat eine Fürsorgepflicht, die ihn verpflichtet, die Integrität des Arbeitnehmers zu schützen. Das bedeutet, dass sich niemand an die Brüste fassen lassen muss oder Ähnliches.
  2. Schutz der Person vor sich selbst: Aber nur dann, wenn der Schutz deutlich wichtiger ist als die Selbstbestimmung („Es gibt ein Recht auf Selbstschädigung“, Mösch).
  3. Begründet durch einen bestehenden Erziehungsauftrag bei unter 18-jährigen, (Bspw. in der Schule oder einem Jugendheim) wobei der Entscheid fachlich gut begründet sein muss.
 
Wer darf schwanger werden?
Wenn eine Frau schwanger werden möchte, dann darf sie das. Wichtig ist, dass die Person urteilsfähig gemacht wird, indem sie objektiv über die Folgen informiert wird. Bewohnende sollten beispielsweise auch informiert werden über den möglichen Ausschluss aus der Institution oder darüber, dass ihnen möglicherweise das Sorgerecht entzogen wird und das Kind fremdplatziert werden könnte.

Welche Infos dürfen weitergegeben werden?
Eltern haben, in der Funktion der Elternschaft, nie ein Recht auf Informationen. Nur wenn der Betroffene das von sich aus wünscht, dürfen Infos an die Eltern weitergegeben werden.
Angehörigenarbeit findet also nur statt, wenn der Klient oder die Klientin das möchte.
Ob der rechtliche Beistand informiert werden darf, hängt von der Art der Beistandschaft ab und davon, ob der Klient oder die Klientin auch wirklich urteilsunfähig ist. Nur dann, wenn der Klient oder die Klientin nicht urteilsfähig ist, darf der Beistand ohne ausdrücklichen Wunsch des/der Betroffenen informiert werden.
Ein Auskunftsrecht oder -pflicht besteht, wenn dienstlich gewonnene Kenntnisse ein Tätigwerden der KESB zum Schutz des Klienten/der Klientin oder einer dritten Person notwendig machen.
 
Welches sind die wichtigsten Gesetzesartikel?
Sexuelle Handlungen mit Kindern (Art. 187 StGB)
Wer mit einem Kind unter 16 Jahren eine sexuelle Handlung vornimmt, es zu einer solchen Handlung verleitet oder es in eine sexuelle Handlung einbezieht, wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit einer Geldstrafe bestraft. Die Handlung ist jedoch nicht strafbar, wenn der Altersunterschied zwischen den Beteiligten nicht mehr als drei Jahre beträgt.
 
Sexuelle Handlungen mit Abhängigen (Art. 188 StGB)
Auch Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren stehen noch unter besonderem Schutz. Wenn etwa Erwachsene eine Machtposition ausnutzen, um Minderjährige dazu zu bringen, mit ihnen Sex zu haben, etwa als Lehrer, Lehrmeister oder Chef, machen sie sich genauso strafbar. Ihnen droht eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe.
 
Sexuelle Nötigung (Art. 189)
Wer eine Person zur Duldung einer beischlafähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung nötigt, bspw. indem er sie bedroht, Gewalt anwendet, sie unter psychischen Druck setzt oder zum Widerstand unfähig macht, wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder mit einer Geldstrafe bestraft.
 
Schändung (Art. 191)
Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person in Kenntnis ihres Zustandes zum Beischlaf, zu einer beischlafähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren oder mit einer Geldstrafe bestraft.
Beispiele:
Sexuelle Beziehung von nicht geistig beeinträchtigten Menschen zu geistig beeinträchtigen Menschen können unter diesen Artikel fallen, oder wenn dich jemand betrunken macht und dann Sex mit dir hat.
 
Sexuelle Handlungen mit Anstaltspfleglingen, Gefangenen und Beschuldigten (Art. 192 StGB)
Wer unter Ausnützung der Abhängigkeit einen Anstaltspflegling, Anstaltsinsassen, Gefangenen, Verhafteten oder Beschuldigten veranlasst, eine sexuelle Handlung vorzunehmen oder zu dulden, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
Hat die verletzte Person mit dem Täter die Ehe geschlossen oder ist sie mit ihm eine eingetragene Partnerschaft eingegangen, so kann die zuständige Behörde von der Strafverfolgung, der Überweisung an das Gericht oder der Bestrafung absehen.

Ausnützung der Notlage (Art. 193)
Wer eine Person veranlasst, eine sexuelle Handlung vorzunehmen oder zu dulden, indem er eine Notlage oder eine durch ein Arbeitsverhältnis oder eine in anderer Weise begründete Abhängigkeit ausnützt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
Ist die verletzte Person mit dem Täter eine Ehe oder eine eingetragene Partnerschaft eingegangen, so kann die zuständige Behörde von der Strafverfolgung, der Überweisung an das Gericht oder der Bestrafung absehen.
 
Exhibitionismus / sexuelle Belästigung (Art. 194/198)
Wer eine exhibitionistische Handlung vornimmt, wird, auf Antrag, mit Gefängnis bis zu sechs Monaten oder mit Bussen bestraft. Wer vor jemandem, der dies nicht erwartet, eine sexuelle Handlung vornimmt und dadurch Ärgernis erregt, wer jemanden tätlich oder in grober Weise durch Worte sexuell belästigt, wird, auf Antrag, mit einer Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen bestraft.
 
Pornographie (Art. 197)
Wer pornographische Schriften, Ton- oder Bildaufnahmen, Abbildungen, andere Gegenstände solcher Art oder pornographische Vorführungen einer Person unter 16 Jahren anbietet, zeigt, überlässt, zugänglich macht oder durch Radio oder Fernsehen verbreitet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
Beispiel:
Der Vater eines 15-jährigen Schulkollegen macht sich strafbar, wenn er Pornoheftli oder Pornovideos auf dem Stubentisch herumliegen lässt, obwohl er weiss, dass sein Sohn immer Freunde nach Hause bringt.
 
Vergewaltigung (Art. 190)
Wer eine Person weiblichen Geschlechts zur Duldung des Beischlafs nötigt, namentlich indem er sie bedroht, Gewalt anwendet, sie unter psychischen Druck setzt oder zum Widerstand unfähig macht, wird mit einer Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren bestraft.
Beispiele:
Ein ehemaliger Freund zwingt dich – unter Drohung, er würde dich sonst umbringen – mit ihm zu schlafen.
 
Merkliste - wann und zwischen wem ist Sex erlaubt?
  • Grundsätzlich müssen die Personen urteilsfähig sein und sich frei dafür entscheiden.
  • Sexuelle Handlungen mit unter 16-Jährigen ist nicht erlaubt, ausser der Altersunterschied zwischen den Beteiligten beträgt nicht mehr als 3 Jahre. Sex mit 16- bis 18-Jährigen ist dann strafbar, wenn ein Machtverhältnis zum Sexualpartner besteht.
  • Sexuelle Beziehungen von nicht geistig beeinträchtigten Menschen zu geistig beeinträchtigen Menschen sind nicht erlaubt, wenn die Person mit Beeinträchtigung zum Widerstand unfähig ist und die andere Person davon Kenntnis hat.
  • Sexuelle Handlungen zwischen Personal und Klienten unter Ausnützung der Abhängigkeit oder des Arbeitsverhältnisses sind verboten.
  • Jegliche sexuellen Beziehungen zwischen Personal und Klienten sind daher unzulässig.
  • Sexuelle Belästigung ist in allen Konstellationen – zwischen Klienten, von Klienten zu Personal oder Personal zu Klienten – unzulässig.
 
Wichtig ist: Aufklären!
Urteilsfähigkeit ist keine andauernde persönliche Eigenschaft, sondern sie hängt damit zusammen, wie viele Informationen jemand hat und damit, wie gut er sich und seinen Körper kennt. Um die Selbstbestimmung der Klient*innen zu erhöhen, ist daher Aufklärungsarbeit wichtig!
 
Literatur und Links:
Kindes- und Erwachsenenschutzrecht, ZGB, online: https://www.bj.admin.ch/bj/de/home/gesellschaft/gesetzgebung/kesr.html
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Sonja Gross

Auf dieser Seite teile ich mein Wissen zu aktuellen Entwicklungen und Theorien im Sozialbereich. Bitte beachten Sie, dass ich keine Juristin bin. Bei schwierigen Fragen oder Grenzfällen, wenden Sie sich bitte an einen Juristen. Besonders empfehlen kann ich Ihnen Herr Peter Mösch Payot. 
Ich unterstütze soziale Organisationen und Gemeinden bei der Entwicklung und dem Verfassen von Konzepten und weiteren Dokumenten rund um die Begleitung und Betreuung von Kindern, Jugendlichen, älteren Menschen und Erwachsenen mit einer geistigen Behinderung.
​
Ich freue mich über Ihre Nachricht: sonja.gross@conceptera.ch

2 Kommentare
Torsten Volkmann
20/3/2020 03:07:16

Hallo bin der Torsten und würde mich freuen wenn du sie mir zurück schreiben würden. Bin noch Jungfrau und würde mich freuen wenn du mir dabei helfen könntest.

Antworten
Sonja Gross link
20/3/2020 08:56:09

Lieber Torsten

dabei kann ich dir leider nicht helfen. Es gibt aber viele verschiedene Beratungsstellen, die das können.

Zum Beispiel: Sexuelle Gesundheit Schweiz (www.sante-sexuelle.ch). Dort findest du viele Adressen und Beratungsmöglichkeiten.

Für Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung gibt es auch:

airAmour in Basel (www.airamour.ch) oder
liebi+ in Zürich (www.liebi-plus.ch)

Liebe Grüsse
Sonja Gross

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    Sonja Gross ​

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