Noch nie zuvor war Medienkompetenz für Kinder von so grosser Bedeutung «Eine 13-jährige Schülerin aus Spreitenbach nahm sich wegen Cybermobbings das Leben» (Aargauer Zeitung, 10.10.2017). Es gibt kaum ein Land, in dem nicht von Suiziden aufgrund von Cybermobbing berichtet wird. Die Schlagzeilen der Zeitungen hören sich immer ähnlich an. So auch die in Deutschland: „15-Jährige tötet sich nach Cyber-Mobbing. Ihre Eltern sagen, ihre Tochter sei mit Beschimpfungen und Mobbing in sozialen Netzwerken wie Facebook nicht zurechtgekommen“ (Stern 22.09.2012, online). Das Internet birgt für Kinder Risiken und Mobbing ist nur eine davon. Sucht man beispielsweise auf Google nach „Internetsucht Kind“ lassen sich in nur 0.25 Sekunden 51`400 Ergebnisse finden. Und „sexuelle Belästigung“ findet heute, laut SRF (2013), am häufigsten via Internet statt (vgl. online). Medienerziehung durch die Eltern ist daher so wichtig wie noch nie zuvor, wenn es darum geht, den Gefahren im Internets zu begegnen und dieses angemessen zu nutzen. Die Frage, die sich aufdrängt, ist, wie Medienkompetenz und das medienerzieherische Handeln gestärkt werden können. Kinder und Jugendliche haben überall Zugriff zum Netz Anders als für alle vorherigen Generationen ist es für heutige Kinder und Jugendliche normal, mit dem Internet aufzuwachsen. Die allermeisten Kinder und Jugendlichen haben Zuhause einen Computer. Das Internet wird allerdings nicht mehr ausschliesslich über den Computer genutzt. Fast alle neueren Spielkonsolen und Fernseher können mit dem Internet verbunden werden und in vielen Wohnzimmern steht ein Fernseher mit Internetzugang. Aber auch die Kinderzimmer sind immer häufiger mit Medien ausgestattet. Die genauen Angaben der Anteile an den jeweiligen Medien im Kinderzimmer können untenstehender Graphik aus der Studie von Steiner und Goldoni (2011) entnommen werden (vgl. S. 27). Abbildung 1: Anteil der Kinder mit Medien im Kinderzimmer nach Jahren, kumuliert (Steiner/Goldoni 2011, S. 27) Dazu kommt, dass das Internet heute längst nicht mehr nur von zuhause aus genutzt wird. Handys, Tablets und andere mobile Geräte, wie Musikplayer und tragbare Spielkonsolen, bieten die Möglichkeit von unterwegs auf das Internet zuzugreifen. Immer mehr öffentliche Plätze, Restaurants und Cafés stellen kostenlos WLAN zur freien Nutzung zur Verfügung. Cybermobbing, Cybergrooming und anderen Gefahren im Internet „Sexuelle Darstellungen, Cybermobbing, Sexuelle Nachrichten, Kontakt und Treffen mit Fremden, problematische nutzergenerierte Inhalte, übermässige Internetnutzung und Missbrauch persönlicher Daten […]“ (Hermida 2013, S. 6). Die Liste der Risiken, die das Netz mit sich bringt, ist lang. Cybermobbing kann, wie die Schlagzeile in der Einleitung zeigte, so weit gehen, dass sich Kinder und Jugendliche deswegen das Leben nehmen. Nachgewiesen werden konnte ausserdem, dass Cyberopfer, ebenso wie auch traditionelle Mobbingopfer, erhöhte Depressivitätswerte aufweisen. Sexuelle Darstellungen gehören zu den Risiken, denen die meisten Kinder und Jugendlichen im Internet ausgesetzt sind. „Am häufigsten haben Kinder unbeabsichtigt Kontakt mit sexuellen Darstellungen durch Pop-ups“ (Hermida 2013, S. 7). Fast allen jüngeren Kindern, aber auch vielen Jugendlichen ist dies unangenehm. Bedenklich scheint, dass nur die wenigsten Kinder, sich damit auch an jemanden wendeten. Die Mehrheit hofft, das Problem löse sich von alleine und wählen eine passive Lösungsstrategie (vgl. a.a.O., S. 8f). Die nächste Stufe ist sexuelle Belästigung durch Pädokriminelle. In diesem Zusammenhang wird der Begriff Cyber-Grooming gebraucht, was übersetzt «Internet-Streicheln» bedeutet. «Dabei geht es darum, dass Pädokriminelle unter falscher Identität Kontakte zu Minderjährigen knüpfen, ihr Vertrauen gewinnen und sie dann dazu bringen, blossstellende oder kinderpornografische Bilder und Videos an sie zu schicken oder sich mit ihnen zu treffen» (Stadtpolizei Zürich, online). Was können Eltern tun, um ihre Kinder vor den Gefahren des Internets zu schützen? Studien zeigen, dass viele Eltern die Mediennutzung ihrer eigenen Kinder falsch einschätzen. „Interpretieren kann man dies dahin, dass eine erhebliche Diskrepanz besteht zwischen elterlichem Wissen, dass ihre Kinder im Netz sind, und einem Mangel an Kontrolle bzw. positiv orientierter Kommunikation über das, was die Kinder in diesem Netz tun bzw. erfahren“ (vgl. Wegel et al. 2013, S. 162). Will man sein eigenes Kind vor den Gefahren des Internets schützen, so ist es in einem ersten Schritt wichtig ist, sich über das Nutzungsverhalten des eigenen Kindes im Klaren zu werden. Auf welchen Seiten ist es? Hat es irgendwelche persönlichen Profile erstellt? Wie viel Zeit verbringt es wo? Eine offene Kommunikation, aber auch die Kontrolle zum Beispiel mittels Überprüfung des Verlaufs oder der Einsatzes von Software sind dabei hilfreich. Ausserdem ist eine medienkritische Haltung wichtig. Man sollte sich die Risiken und Gefahren des Netzes bewusst machen, um gemeinsam mit dem Kind daraufhin reagieren zu können. Medienerziehung beinhaltet allerdings mehr als nur Kontrolle beziehungsweise Monitoring der Kinder. Zumal dies längst gar nicht mehr immer möglich ist. Nebst Monitoring und Restriktionen, zum Beispiel zeitlicher, aber auch inhaltlicher Art, ist deswegen die aktive Mediation von zentraler Bedeutung. Die Stadtpolizei Zürich hat dazu unter anderem diese Tipps veröffentlicht:
Literatur und Links: Aargauer Zeitung. Jürg Krebs (10.10.2017): Suizid von Sabrina (†13): Das sagt Gerichtspsychiater Josef Sachs über das «Du wirst sterben»-Video. Online: https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/suizid-von-sabrina-13-das-sagt-gerichtspsychiater-josef-sachs-ueber-das-du-wirst-sterben-video-131793312 [letzter Zugriff: 52.10.2018]. Hermida, Martin / Signer, Sara (2013): Wie Eltern ihre Kinder im Internet begleiten. Regulierung der Internetnutzung durch Eltern. Erstellt im Auftrag des nationalen Programms Jugend und Medien. Online verfügbar: http://www.jugendundmedien.ch/de/fachwissen/publikationen/category/41.html?cHash=c6165a1a10bbb3e4e771b664d74e9c1b#sthash.UrF07KJh.dpuf [letzter Zugriff: 25.10.2018 SRF News: Sexueller Missbrauch von Kindern ist „alarmierend“ hoch (29.10.2013) http://www.srf.ch/news/schweiz/sexueller-missbrauch-von-kindern-ist-alarmierend-hoch [letzter Zugriff: 25.10.2018]. Steiner, Olivier / Goldoni, Marc (2011): Medienkompetenz und medienerzieherisches Handeln von Eltern. Eine empirische Untersuchung bei Eltern von 10- bis 17-jährigen Kindern in Basel-Stadt. Hochschule für Soziale Arbeit, Fachhochschule Nordwestschweiz: Basel/Olten. Stern (2012): 15-Jährige tötet sich nach Cyber-Mobbing. http://www.stern.de/digital/online/selbstmord-nach-cyber-mobbing-1510308.html [letzter Zugriff: 25.10.2018]. Wegel, Melanie / Kerner, Hans-Jürgen / Stroezel, Holger (2013): Jugendliches Verhalten im Internet und elterliche Kontrolle. Befunde der 3. Tübinger Schülerbefragung. In: Pädagogische Rundschau, Heft 2, 67. Jahrgang 2013, S. 161 – 172. Stadtpolizei Zürich, online: https://www.schaugenau.ch/de/belaestigungen#!sexuelle_belaestigung [letzter Zugriff: 25.10.2018].
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UK - ein Leben lang Unter diesem Motto stand das diesjährige UK-Symposium an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Denn: «Um die kommunikative Situation von Menschen, die in ihrer Laut- und/oder Schriftsprache beeinträchtigt sind, zu verbessern, braucht es ein lebenslanges Engagement von allen.» (FHNW, online). Viele Fachpersonen kamen an diesem Tag in Olten zusammen, um neue Erkenntnisse vorzustellen und sich auszutauschen. Besonders beschäftigt haben mich die Fragen: Was hat sich im Bereich der UK verändert? Was sind Gelingensbedingungen zur Umsetzung von UK? Gerne möchte ich meine Erkenntnisse hier mit Ihnen teilen. UK steht für Unterstützte Kommunikation
UK steht für Unterstützte Kommunikation und hat zum Ziel, allen Menschen mit unterschiedlichen Voraussetzungen Kommunikation zu erleichtern. UK ist die deutsche Bezeichnung für das internationale Fachgebiet „Augmentative and Alternative Communication (AAC)“. Übersetzt bedeutet der englische Fachausdruck „ergänzende und ersetzende Kommunikation“. Damit sind alle pädagogischen oder therapeutischen Massnahmen gemeint, die fehlende Lautsprache ergänzen oder ersetzen, um die kommunikativen Möglichkeiten zu erweitern. Die Massnahmen reichen von einfachen Gesten, Bildern, grafischen Symbolen, Gebärden bis hin zu technischen Kommunikationshilfen mit künstlicher Sprachausgabe. Die Wichtigkeit von UK wächst – gefordert sind die Geschäftsleitungen Mit ca. 300 Teilnehmenden war das UK-Symposium restlos ausgebucht. Das ist ein Hinweis auf das grosse Interesse und die wachsende Wichtigkeit von UK. Gabriela Antener, Professorin an der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW in Olten, erklärt im Einstiegsreferat, dass die Zahl der Menschen, die UK brauchen, in den letzten 20 bis 30 Jahren angestiegen ist. Dies aus drei Gründen: Erstens durch die bessere medizinische Versorgung, zweites durch die gestiegene Lebenserwartung und drittens, weil der Nutzen von UK für breitere Gruppen erkannt worden ist. Tatsächlich ist die Zielgruppe von UK sehr heterogen in Bezug auf das Alter und die Lebenssituation, Zeitpunkt und Dauer der Kommunikationsbeeinträchtigung sowie die Fähigkeiten und Beeinträchtigungen. Beispielsweise kann UK bei Kindern oder Erwachsenen eingesetzt werden, die mit einer geistigen Behinderung auf die Welt gekommen sind und die Sprache von Grund auf am Lernen sind. Aber auch Menschen mit Demenz, deren aktiver Wortschatz sich reduziert hat, oder Menschen mit Aphasie nach einer Hirnverletzung profitieren von den Methoden und Hilfsmitteln der UK. Dorothea Lage, ebenfalls Professorin an der Fachhochschule Nordwestschweiz und auch bekannt als «Miss UK» beobachtet, dass UK immer mehr ein Managementthema ist. Organisationen beschäftigen sich immer mehr mit der Frage, wie UK sinnvoll und längerfristig integriert werden kann. Denn viele Kantone haben in ihren Gesetzen zur Betreuung das Thema «Teilhabe» und die Orientierung an der BRK drin, was UK automatisch zu einer Verpflichtung macht. In erster Linie sind in den Organisationen die Geschäftsleitungen für die Einführung und Etablierung von UK in ihrer Institution verantwortlich. Deswegen sagt Dorothea Lage: UK ist Chefsache! Und betont, es sei an der Zeit, dass Chefs aktiv werden, denn noch immer haben viele Menschen keinen Zugang zu UK. Die BSV-Studie zeigt: UK-Zuständige in den Institutionen haben zu wenig Ressourcen und Kompetenzen Das BSV (Bundesamt für Sozialversicherungen) hat 2016 eine Studie zum Thema UK veröffentlicht, in der es darum ging, die Abgabe von Kommunikationsgeräten an Versicherte der Invalidenversicherung zu untersuchen. Die Ergebnisse haben gezeigt, dass die Kommunikationsgeräte wichtig sind, um den Betroffenen die Teilhabe in der Gesellschaft zu ermöglichen. Allerdings zeigte sich auch, dass die Nutzung der Geräte nach Austritt aus der Sonderschule tendenziell abnimmt. Es liegt die Vermutung nahe, dass die Unterstützung in den Erwachseneninstitutionen aufgrund knapperer Ressourcen und weniger geschultem Personal schwächer ist und dies dazu führt, dass Betroffene weniger Unterstützung bei der Nutzung ihres Kommunikationsgerätes erhalten. Die Zuständigkeit für UK ist in den Institutionen sehr unterschiedlich organisiert. In fast der Hälfte der befragten Institutionen sind eine oder mehrere Personen im Betrieb offiziell für die UK zuständig (40%). Bei den meisten ist die Zuständigkeit breiter verteilt und wird jeweils fallbezogen, beispielsweise durch die Bezugsperson, für die einzelnen Klienten/Klientinnen wahrgenommen (55%). In einigen der befragten Institutionen gibt es zudem eine Arbeitsgruppe oder ein ähnliches Austauschgefäss (35%) und wenige Institutionen (ca. 10%) verfügen über eine UK-Fachstelle. Bei der Abgabe von Kommunikationsgeräten spielen die UK-Zuständigen der Institutionen eine wichtige Rolle. Zum einen können sie gewährleisten, dass das richtige Kommunikationsgerät abgegeben wird, weil sie den Betroffenen gut kennen. Zum anderen können sie die Nachhaltigkeit des Gebrauchstrainings sicherstellen bzw. die Versicherten nachhaltig bei der Verwendung der Kommunikationsgeräte unterstützen. Problematisch ist, dass viele UK-Zuständige im Interview angeben, dass sie nicht über die notwendigen Ressourcen verfügen, um sich stärker engagieren zu können. Nur etwas mehr als die Hälfte gibt an, die technischen Geräte selber bedienen zu können und weniger als die Hälfte traut sich ein Gebrauchstraining zu. Um Abklärungen vorzunehmen, fehlt es den meisten UK-Zuständigen an Kenntnissen zu den aktuellen Entwicklungen (vgl. Bundesamt für Sozialversicherungen, BSV, 2016, S. 49-54). Für die erfolgreiche Umsetzung braucht es das Engagement von allen: Modelling Monika Waigand erklärte im Einstiegsreferat, wie Kinder normalerweise Sprache erwerben: Babys hören ständig und überall Wörter. Die Eltern sprechen mit ihm, das Kind hört unterwegs andere sprechen, es hört Sprache im Radio und im Fernseher usw. Es hört so ca. 4‘000 Wörter täglich. Die Sprache wird nicht gezielt beigebracht, sondern entwickelt sich beim täglichen Kommunizieren miteinander automatisch. In der Regel ist dies ganz anders bei einem Kind, das keine Lautsprache kann und UK unterstützt wird. In Förderstunden wird dem Kind beigebracht, wie es kommunizieren könnte. Ausserhalb der Förderstunden spricht die Umwelt aber eine andere Sprache – die Lautsprache. Was wäre, wenn dem Kind mit UK pro Tag 4‘000 Bilder gezeigt würden und alle in seinem Umfeld mit UK kommunizieren würden? Frau Waigand fordert die gleichen förderlichen Rahmenbedingungen für Kinder mit UK wie für Kinder, die lautsprachlich aufwachsen und lernen. Das Stichwort hierzu heisst: Modelling. Modelling bedeutet, dass Bezugspersonen eine Kommunikationshilfe ebenfalls mitbenutzen. Sie werden damit zum Vorbild bzw. Modell für den Nutzer oder die Nutzerin. Wesentliche Prinzipien des Modelling sind nach Frau Waigand: Der Einsatz erfolgt ohne Voraussetzungen des UK-Nutzenden: Dieser muss die Symbole oder Begriffe weder verstanden haben noch dem Kommunikationspartner/der -partnerin aufmerksam folgen. Die Kommunikation mit dem Hilfsmittel erfolgt nicht in künstlich arrangierten Settings, sondern im Alltag. Kommunikation mit dem Hilfsmittel findet so immer und überall statt. Schlussfolgerung: Die Zukunft von UK in den Institutionen UK gewinnt an Bedeutung. Einerseits durch die fortschreitende Technik und die neuen Möglichkeiten, die sich daraus ergeben. Andererseits aber auch, weil die Zielgruppe zugenommen hat und noch mehr zunimmt: Dies dadurch, dass es tatsächlich mehr Menschen gibt, deren Lautsprache beeinträchtigt ist, aber auch, weil immer mehr erkannt wird, dass UK für eine sehr grosse und unterschiedliche Gruppe von Menschen eingesetzt werden kann. Nicht zuletzt aber auch durch die jüngsten Gesetze, die Teilhabe fordern und vor dem Hintergrund der unterzeichneten Behindertenrechtskonvention. Gefordert ist nun in erster Linie das Engagement der Geschäftsleitungen, die verantwortlich sind, dass UK in ihrer Institution eingeführt und etabliert wird und sie die dafür nötigen Ressourcen zur Verfügung stellen. Gefragt sind nicht nur Geschäftsleitungen von Institutionen für Menschen mit Behinderungen, sondern auch von Altersheimen. Bei der Etablierung ist das Erstellen eines UK-Konzeptes und darin auch die Festlegung der UK-Verantwortlichen und der dafür vorgesehenen Ressourcen ein wichtiger Schritt. Grossgruppenmethoden, sog. Konferenzen, in denen ein gemeinsames Anliegen gefunden und eine gemeinsame Basis geschaffen wird, können dabei hilfreich sein. Wie die BSV-Studie gezeigt hat, ist es für den erfolgreichen Einsatz der UK-Hilfsmittel von grosser Bedeutung, dass die UK-Verantwortlichen darin in Zukunft noch besser geschult werden. Darüber hinaus sollten aber auch alle weiteren Mitarbeitenden der gesamten Institution und soweit möglich des weiteren sozialen Umfeldes im Umgang mit den UK-Hilfsmitteln geschult werden, damit alle die UK-Sprache sprechen können. Nur so kann der Nutzende auch tatsächlich Fortschritte in seinen kommunikativen Fähigkeiten machen. Ausserdem ist eine sorgfältige Absprache mit der vorhergehenden Institution bedeutsam, da sich gezeigt hat, dass beim Übertritt von der Sonderschule in eine Einrichtung für Erwachsene die Nutzung von UK oftmals abnimmt. So kann UK zur Teilhabe an der Gesellschaft und zur Selbstbestimmung genutzt werden, und zwar ein Leben lang! Literatur und Links: Active Communication AG: UK-Symposium 2018. Online: http://www.uk-symposium.ch/pages/beitraege-2018.php (letzter Zugriff: 16.9.2018) Claudio Castañeda und Monika Waigand (2016): Ein Weg für jeden?! Modelling in der Unterstützten Kommunikation. Online: http://www.ukcouch.de/wp-content/uploads/2016/09/ModellingCastanedaWaigandk.pdf (letzter Zugriff: 16.9.2018) Bundesamt für Sozialversicherungen BSV: Analyse der Abgabe von Kommunikationsgeräten an Versicherte der Invalidenversicherung. Online: https://www.bsvlive.admin.ch/praxis/forschung/publikationen/index.html?lang=de&lnr=13/16&iframe_style=yes#pubdb (letzter Zugriff: 16.9.2018) Dorothea Lage und Solveig Steiger (2018): Gelingensbedingungen für die nachhaltige Verankerung von UK in Organisationen der Behindertenhilfe. Online: https://www.brühlgut.ch/wohnen-arbeiten/unterstuetzende-angebote/unterstuetzte-kommunikation (letzter Zugriff: 16.9.2018) Wenn man eine Person in ihrer Entwicklung unterstützen möchte, sind Entwicklungstheorien von grosser Bedeutung. Die richtige Einschätzung des Entwicklungsstandes gibt Anhaltspunkte für die passende Unterstützungsleistung und liefert ausserdem Erklärungen für das Wahrnehmen und Verhalten eines Menschen. Geistige Behinderung bedeutet in erster Linie eine Beeinträchtigung oder Verlangsamung der kognitiven Entwicklung. «Unter kognitiver Entwicklung versteht man die Entwicklung all jener Funktionen, die dem Erkennen und Erfassen der Gegenstände und Personen der Umgebung und der eigenen Person gelten. Zu diesen Funktionen gehören Intelligenz bzw. Denken, Wahrnehmung, Problemlösen, Gedächtnis, Sprache etc.» (Stangl, 2018). Eine der weltweit bekanntesten Theorien zur Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten stammt vom Schweizer Jean Piaget (9.8.1896 in Neuchatel bis 16.9.1980 in Genf). Interessant ist die Frage, ob und wie kann die Kognitionstheorie nach Piaget auf Menschen mit geistigen Behinderungen angewendet werden? Und wie können Menschen mit geistigen Behinderungen folglich am besten in ihrer Entwicklung unterstützt werden? Kognitionstheorie nach Piaget: Wie entwickelt sich das Denkvermögen? Piaget betrachtete die geistige Entwicklung als einen Prozess der aktiven Konstruktion von Wissen in der Interaktion des Individuums mit der Umwelt. Wissen entsteht also im Zusammenspiel zwischen der Person und seiner Umgebung. Dabei sind zwei gegensätzliche Prozesse zentral: die Assimilation und die Akkommodation. · Assimilation: Der Mensch passt Umweltgegebenheiten an bestehende Handlungsmöglichkeiten/Erkenntnisfähigkeiten an. Er benutzt also die ihm zur Verfügung stehenden Mittel (seine kognitiven Mittel und seine Handlungsfähigkeiten), um die Umweltprobleme zu meistern. · Akkommodation: Der Mensch wandelt seine Handlungs- und Denkweisen den Umwelterfordernissen entsprechend an. Auf diese Weise erwirbt er neue motorische und/oder kognitive Fähigkeiten. Piaget ging davon aus, dass kognitive Fähigkeiten aufeinander aufbauen und sich in einer gewissen Reihenfolge bilden. Jedes nächsthöhere Stadium geht aus dem vorangehenden Stadium hervor. Unterschieden werden vier Hauptstadien der geistigen Entwicklung in der Kindheit und im Jugendalter, die im Folgenden beispielhaft erklärt werden. 1. Sensomotorische Stufe (0-1.5/2 Jahre) Das Verhalten in der sensomotorischen Phase entsteht ausschliesslich durch das Zusammenspiel von Wahrnehmungseindrücken und motorischer Aktivität. Das Baby hat angeborene Reflexmechanismen, wie zum Beispiel den Greifreflex, bei dem die Finger des Babys automatisch alles umschliessen, was mit seinen Handflächen in Berührung kommt. Es entdeckt einfache Reaktionen und schüttelt beispielsweise eine Rassel, damit es rasselt. Gegen Ende dieser Stufe erreicht das Kind die Erkenntnis, dass eine Rassel, die unter der Decke verschwindet, weiterhin existiert (das wird auch Objektpermanenz genannt). 2. Präoperative Stufe (1.5-6/7 Jahre) In dieser Stufe lernt das Kind, mithilfe von verinnerlichten Handlungen Probleme zu lösen. Das Denken verknüpft sich zunehmend mit der Sprache. Diese Stufe zeichnet sich beispielsweise aus durch: · Das Kind lernt zu sprechen. · Es orientiert sich an verinnerlichten Handlungsabläufen: Sonntag ist der Tag, an dem Eltern länger im Bett sind. · Das Kind ist selbstbezogen und versteckt sich zum Beispiel hinter seinen eigenen Händen. · Es erkennt Objekte anhand bestimmter Merkmale: Es fliegt, also ist es ein Vogel. · Es erkennt Ursache-Wirkungsketten, aber die genauen Umstände nicht: Das Plüschtier braucht Salbe, damit die Naht „heilt“. 3. Konkret-operative Stufe (6/7-11/12 Jahre) Das Denken ist weiterhin an anschaulich erfahrbare Inhalte gebunden, löst sich aber mehr und mehr von der momentanen Anschauung. Es werden nun verschiedene Merkmale eines Gegenstandes und Vorgangs gleichzeitig erfasst und zueinander in Beziehung gesetzt. Regeln beziehen sich jetzt auf die Relation zwischen zwei und mehr Begriffen. Das Kind denkt im Sinne verinnerlichten Handelns, kann vorausdenken und sein Handeln reflektierend steuern. Logische Schlussfolgerungen über Phänomene, die physische Objekte betreffen, und über konkrete Situationen werden möglich. Das Regelspiel wird zur vorherrschenden Spielform. 4. Formal-operative Stufe (ab 10/11 Jahre) Der Jugendliche kann mit abstrakten Inhalten wie Hypothesen gedanklich umgehen, Probleme theoretisch analysieren und (wissenschaftliche) Fragestellungen systematisch durchdenken. Er hat die höchste Form des logischen Denkens erreicht. Diese Stufe zeichnet sich bspw. durch folgende Punkte aus: · Abstraktes Denken · Schlussfolgerungen · Interpretationen · Hypothesen · Flexibles und wirkungsvolles Denken · Kombinationsanalyse von Möglichkeiten Anwendung: Kann diese Theorie bei Menschen mit geistiger Behinderung angewendet werden? In der Realität erweisen sich die einzelnen Entwicklungsstufen nicht immer als klar voneinander abgrenzbar oder in sich geschlossen und auch an den Altersangaben gibt es Kritik. Die Stufentheorie ist deshalb eher als eine idealtypische Grundform zu werten. Dennoch gilt sie bis heute als Grundlage für viele Forschungsprojekte und Förderkonzepte. Die Übertragung dieses Modells auf Menschen mit geistiger Behinderung funktioniert vor allem für Menschen mit einer leichteren geistigen Behinderung. Bei mittelgradig schweren und schweren Behinderungen ergeben sich Komplikationen bei der Übertragung, da die Entwicklungsverläufe stark schwanken. Obwohl es auch Menschen mit einer Behinderung gibt mit einem relativ homogenen Entwicklungsniveau, so bildet doch die Mehrheit von ihnen nicht alle geistigen Kompetenzen, die einer bestimmten Entwicklungsstufe zugerechnet werden können, gleichmässig aus, sondern sie entwickeln einzelne Teilfunktionen besser als andere. Bei Menschen mit einer leichteren Behinderung kann davon ausgegangen werden, dass die Stufenfolge irreversibel durchlaufen wird. Es zeigt sich jedoch, dass sie diesen Entwicklungsprozess wesentlich langsamer durchlaufen und sich die Möglichkeiten des konkret- und formal-operativen Denkens nicht umfassend aneignen können. Die Entwicklung kann somit am besten unterstützt werden, wenn man weiss, wo sich die Person befindet und gezielt die Funktionen unterstützen und festigen kann, die der Phase unmittelbar vor den ersten Defiziten angehört. Somit kann sichergestellt werden, dass nicht nur die Entwicklung einzelner Teilfunktionen, sondern die der kognitiven Fähigkeiten insgesamt gefördert wird. Literatur und Links:
"Computerbasiertes Experten- und Selbsthilfesystem auf Basis eines systemisch-lösungsorientierten Beratungsansatzes", so lautet der Name des Programmes, das ein lösungsorientiertes Gespräch führen kann. ![]() Was ist das «computerbasierte Experten- und Selbsthilfesystem»? Sie können sich darunter eine Webseite vorstellen, die den User durch einen systemisch-lösungsorientierten Beratungsprozess führt. Dabei stellt das System, basierend auf den Methoden des systemisch-lösungsorientierten Ansatzes, Fragen, die der User oder die Userin dann entweder für sich selber beantwortet (Selbsthilfesystem) oder die er als beratende Person dem Klienten oder der Klientin stellt (Expertensystem). Kennengelernt habe ich dieses System an einem der Workshops, die an der diesjährigen „Fachtagung Lösungs- und Kompetenzorientierung“ an der Hochschule Luzern angeboten wurden. Entwickler ist Michael Groer, der an der HSL den MAS Lösungs- und Kompetenzorientierung absolviert und dies als Abschlussarbeit entwickelt hat. Worum geht es beim lösungsorientierten Ansatz? Der lösungsorientierte Ansatz, LOA, ist eine Sichtweise, in welcher davon ausgegangen wird, dass es hilfreicher ist, sich auf Wünsche, Ziele, Ressourcen und Ausnahmen von Problemen zu konzentrieren, anstatt auf Probleme und deren Entstehung. Lösungsorientierte Menschen richten ihre Aufmerksamkeit auf Chancen und Alternativen und wenn etwas nicht klappt, probieren sie immer wieder neue Dinge aus. Die Wurzeln hat der Ansatz in der Lösungsorientierten Kurzzeittherapie von Steve de Shazer und Insoo Kim Berg. Er basiert auf folgenden zentralen Annahmen:
LOA schlägt des Weiteren eine Reihe von Methoden zur Gesprächsführung vor. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass der Fokus immer auf der Lösung und nicht auf der Entstehung des Problems liegt. Ausserdem werden Lösungen angestrebt, die von der betroffenen Person selbst und nicht vom beratenden bzw. begleitenden Menschen entwickelt werden. LOA ist damit anschlussfähig an das Konzept des Empowerment und somit eine Hilfe die BRK konkret umzusetzen. Viele sozialpädagogische Institutionen haben LOA deshalb im agogischen Konzept verankert. Wie funktioniert das computerbasierte System? Im System sind alle möglichen Varianten einer systemisch-lösungsbasierten Beratung abgelegt. Auf der Seite wird dann eine Frage nach der anderen angezeigt, welche die Fachperson der Klientin oder dem Klienten stellt. Bei der Nutzung als Selbsthilfeprogramm beantwortet die Userin oder der User die Fragen für sich alleine. Je nachdem können die Antworten mündlich ausgesprochen oder für sich notiert werden. Das System wartet, bis die befragte Person soweit ist und der User oder die Userin auf "weiter", «ja» oder «nein» klickt, um dann mit der nächsten Frage fortzufahren. Ein grosser Vorteil ist, dass das Programm funktioniert, ohne dass persönliche Daten eingegeben werden müssen, und ist daher datenschutztechnisch völlig unbedenklich. Ersetzt dieses Computerprogramm den Menschen als Berater? Ich habe das Programm im Rahmen von Weiterbildungen mit über 50 Personen getestet. Dabei hat mich das Programm überzeugt. Was Sie möglicherweise erstaunen wird, ist, dass sich die grosse Mehrheit der Teilnehmenden durch die Fragen des Programmes gut abgeholt gefühlt hat. Das liegt möglicherweise daran, dass sich das Programm, durch die Option «ja» oder «nein» anklicken zu können, dem Benutzer automatisch anpasst. Die Hoffnung, dass sie das Problem lösen können, ist bei allen Teilnehmern im Vergleich zum Beginn des Beratungsprozesses gestiegen, zum Teil massiv. Die Teilnehmenden berichten, dass sie das ja eigentlich alles schon wussten, aber es ihnen durch diesen Beratungsprozess erst viel deutlicher geworden ist. Ideal ist, dass die Benützer und Benützerinnen lösungsorientiert an einem Problem arbeiten können, ohne mit dem lösungsorientierten Ansatz selber näher vertraut zu sein. Das Computerprogramm eignet sich somit auch ausgezeichnet zu Übungszwecken, um das lösungsorientierte Fragen und Denken einzuüben. Allerdings war es für einige etwas befremdlich, dass ihr Gegenüber die Fragen von einem Computer abgelesen hat, weil so der Augenkontakt nicht immer aufrechterhalten werden konnte. Auch die Formulierung der Fragen wirkte zum Teil etwas mechanisch. Einen Menschen mit einem offenen Ohr und empathischer Zuwendung wird wahrscheinlich kein Computer der Welt ersetzen können. Dennoch bin ich überzeugt, dass dieses Programm vielen Menschen weiterhelfen kann. Es macht Lösungsorientierung für jeden zugänglich, der lesen kann und ein Handy oder einen Computer mit Internetanschluss hat. Probieren Sie es aus unter: www.solution-focused.ch. Literatur und Links:
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Sonja Gross Master of Arts in Erziehungswissenschaft
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November 2019
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