Qualitätsmanagement, Qualitätssicherung, Qualitätsentwicklung und Qualitätsüberprüfung - in sozialen Organisationen fallen diese Begriffe immer häufiger. Doch wieso eigentlich? Weshalb ist Qualitätsmanagement so wichtig? Und wie wird Qualität im Sozialbereich gemessen? Warum ist Qualitätsmanagement heute auch im Non-Profit-Bereich wichtig? Lange Zeit waren soziale Organisationen nicht gezwungen, ihre Arbeit zu bewerten und ihre Wirksamkeit nachzuweisen. Seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts (u.a. durch die Einführung des New Public Managements) werden die Frage der Wirksamkeit und Qualität immer wichtiger. In diesem Zusammenhang wird auch von «Wirkungsorientierung» und «Qualitätsorientierung» gesprochen, die an Bedeutung gewonnen haben. Heutzutage müssen viele soziale Organisationen die Qualität des Tuns und die Wirksamkeit der Leistungen nach aussen legitimieren (lesen Sie dazu auch meinen Artikel zum Thema Wirkungsmessung). Die Ansprüche an die Qualität und den Qualitätsnachweis von sozialen Institutionen haben bedeutend zugenommen. Gleichzeitig hat sich der Verteilungskampf um die finanziellen Mittel des Staates verstärkt. Organisationen, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, geraten unter Druck. Von ihnen wird ein Nachweis gefordert, dass sie ihre finanziellen Ressourcen effizient und effektiv, also kostenbewusst, gezielt und klientenorientiert einsetzen. Die Einführung von Konzepten und Instrumenten des Qualitätsmanagements ermöglichen es ihnen, den geforderten Nachweis zu erbringen. Der Nachweis, dass das Geld klientenorientiert eingesetzt wird, ist insbesondere aufgrund der mangelnden Verhandlungsmacht der Klient*innen so wichtig. Im Gegensatz zum profitorientierten Sektor, in dem die Kundschaft zwischen verschiedenen Anbietern das beste Angebot auswählen kann, hat die Klientel oftmals keine grosse Auswahl oder Entscheidungsfreiheit (vgl. Speck 2004, S. 208). Was bedeuten Qualitätsentwicklung, QM und QMS? Qualitätsentwicklung Der Begriff der Qualitätsentwicklung geht über den der –sicherung hinaus und beschreibt Massnahmen und Vorkehrungen zur Planung, Lenkung und Verbesserung von Produkten/Leistungen und Verfahren ihrer Herstellung (vgl. Gerull 2007, S. 292). Qualitätsmanagement (QM) Qualitätsmanagement, oft wird die Abkürzung QM verwendet, beinhaltet: «(…) aufeinander abgestimmte Tätigkeiten zum Leiten und Lenken einer Organisation bezüglich Qualität» (DIN EN ISO 9000). Dabei geht es im Kern um folgende zwei Punkte: 1. Gestaltung von Prozessen: Qualitätsmanagement muss die Ausrichtung der gesamten Prozesse in einer sozialen Organisation im Blick haben und diese steuern. Dazu schafft sie Strukturen, die der Prozessstabilität einen zuverlässigen Rahmen geben. Beispielsweise wird das Eintrittsverfahren oder die Förderung von Klient*innen nach sinnvollen und einheitlichen Kriterien gestaltet. 2. Definition von Kriterien der Beurteilung und Entwicklung: Im Rahmen des Qualitätsmanagements wird festgelegt, wann und wie die Prozesse überprüft und angepasst werden. Qualitätsmanagementsystem (QMS) «Unter einem Qualitätsmanagementsystem wird die gesamte Organisationsstruktur, die Regelung von Verantwortlichkeiten, das Verfahren, die Festlegung der Prozesse sowie das zur Verfügungstellen aller erforderlichen Mittel, die für die Verwirklichung des Qualitätsmanagements erforderlich sind, verstanden» (Vomberg 2010, S. 17). Dazu gehören beispielsweise die interne Dokumentensammlung mit dem Organigramm, Prozessbeschreibungen und Formulare zu Eintritts- und Austrittsverfahren usw. Wie kann Qualität überprüft werden? Es stellt sich die Frage, wie Organisationen Qualität nachweisen können. Dazu gibt es eine Reihe ganz unterschiedlicher Möglichkeiten und Herangehensweisen. Grundsätzlich kann Qualität immer intern oder extern evaluiert werden. Intern bedeutet, dass Mitarbeitende der Organisation, die untersucht wird, die Evaluation bzw. das Audit durchführen. Externe Evaluationen werden durch aussenstehende Fachleute, meist Sozialwissenschaftler*innen, gemacht. Während interne Evaluationen Vorteile haben, wie grössere Offenheit bezüglich der eigenen Stärken und Schwächen und dadurch unter Umständen mehr daraus gelernt werden kann, sind die Ergebnisse externer Evaluationen nach aussen hin anerkannter. Unabhängig davon, ob die Qualität intern oder extern gemessen wird, gibt es unterschiedliche Methoden. Dabei kann zwischen qualitativen und quantitativen Erhebungsmethoden unterschieden werden. Bei den qualitativen Methoden geht es um das Beschreiben, Interpretieren und Verstehen von Zusammenhängen. Mit diesen Methoden untersucht man einen Gegenstand in der Tiefe und im Detail. Dadurch können auch neue und nicht erwartete Informationen hervorgebracht werden. Mit quantitativen Methoden wird versucht, Verhalten oder Veränderungen in Form von zahlenmässigen Ausprägungen möglichst genau zu beschreiben und zu erfassen. Quantitative Verfahren werden insbesondere dort eingesetzt, wo man Informationen von möglichst vielen Personen erhalten will oder, um Daten über einen gewissen Zeitraum zu vergleichen. Die Ergebnisse sind dann typischerweise Zahlen, die in Form von Statistiken und Tabellen dargestellt werden. Qualitative und quantitative Daten können beispielsweise erhoben werden durch:
Qualität durch Zertifizierungen nachweisen Eine weitere Möglichkeit, Qualität einzuführen und nachzuweisen, ist die Einführung eines anerkannten QM-Systems. Dabei gibt es QM-Systeme, die branchenübergreifend eingesetzt werden und sich auf die Struktur und die Prozesse in der Organisation fokussieren, sogenannte «strukturell-ablauforientierte QM-Systeme», und es gibt «fachlich orientierte QM-Systeme». Strukturell-ablauforientierte QM-Systeme
Fachlich orientierte QM-Systeme
Auf zwei der oben aufgeführten QM-Systeme möchte ich im Folgenden beispielhaft eingehen. Normenreihe DIN ISO 9000 – 9004 Die DIN ISO ist kein Instrument zur Festlegung des Qualitätsniveaus, sondern definiert Mindestanforderungen an ein QM-System und hat die vollständige Dokumentation der Abläufe zum Ziel. Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass dann bestmögliche Qualität erbracht wird, wenn die Produkterstellung logisch geplant, vereinheitlicht und für alle transparent ist. INSOS Q Das Referenzsystem INSOS Q wurde als Nachfolgermodell des BSV-IV 2000 durch den Branchenverband INSOS erstellt. Es wurde speziell für Organisationen für Menschen mit Behinderung entwickelt. Das Referenzsystem besteht aus zwei Teilen: 1. Mindestanforderungen an ein QMS 2. Qualitätsstandards Der 2. Teil des Referenzsystems enthält 24 Qualitätsstandards, welche durch qualitative Anforderungen erweitert wurden und deren Erfüllung anhand der aufgeführten Beispiele von Indikatoren nachgewiesen werden kann. Wichtige Erkenntnisse zusammegefasst Qualitätsmanagement und Qualitätsmanagementsysteme können ganz unterschiedlich aussehen und verschieden angegangen werden. Entgegen der Vorstellung, die manch einer davon hat, ist Qualitätssicherung und -entwicklung nicht automatisch mit einem riesigen Mehraufwand verbunden. Im Gegenteil: Managementsysteme tragen, wenn sie richtig eingesetzt werden, dazu bei, dass Abläufe effektiver gestaltet und Zeit und Geld gezielter eingesetzt werden. Literatur und Links Deinet, Ulrich/Sturzenhecker, Benedikt (1996): Konzepte entwickeln. Anregungen und Arbeitshilfen zur Klärung und Legitimation. Weinheim, Juventa Verlag. Schilling, Johannes (2016): Didaktik/Methodik Sozialer Arbeit. München, Ernst Reinhardt GmbH & Co KG Verlag, 6. Auflage. Peterander, F.; Speck, O. (Hrsg.) (1999): Qualitätsmanagement in sozialen Einrichtungen. Ernst Reinhardt Verlag. München, Basel. Textor, Martin R./Bostelmann, Antje: Das Kita-Handbuch. Online: https://www.kindergartenpaedagogik.de/2284.html (letzter Zugriff: 19.03.2018).
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Die Frage nach Qualität in sozialen Einrichtungen gewinnt immer mehr an Bedeutung. Qualität ist das neue Ziel sozialer Organisationen. Doch: Was bedeutet Qualität im Sozialbereich? Und aus wessen Sicht wird Qualität festgelegt? Qualität in sozialen Organisationen findet im sozialrechtlichen Dreieck statt Eine allgemeingültige Definition vom Begriff «Qualität» gibt es nicht. Das Qualitätsmanagement-System ISO 9000 erklärt den Qualitätsbegriff als: «Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale Anforderungen erfüllt» (DIN EN ISO 9000) Das Gabler Wirtschaftslexikon definiert Qualität als: «Übereinstimmung von Leistungen mit Ansprüchen. Ansprüche stellen Kunden, Verwender (Konsument/Produzent), Händler und Hersteller.» (Gabler Wirtschaftslexikon) In sozialen Institutionen gibt es drei verschiedene Anspruchsgruppen. Das sogenannte "sozialrechtliche Dreieck" stellt sie und ihren Zusammenhang dar. Die drei Ecken setzen sich, entsprechend der Abbildung, wie folgt zusammen: 1. Aus den Leistungsberechtigten bzw. die Klientel, die Anspruch auf eine Leistung haben, 2. dem Leistungserbringer, das ist die soziale Institution, welche die Dienstleistung ausführt und schliesslich 3. dem Leistungsträger, der die Leistung finanziert. Die Institution bzw. der Leistungserbringer, hat mit dem Leistungsträger einen Vertrag, in dem Inhalt, Umfang, aber auch Qualität der Leistung und deren Vergütung festgehalten werden (sog. Leistungsvereinbarung). Aber nicht nur der Leistungsträger, auch die Empfänger der Dienstleistung, die Klient*innen, stellen Ansprüche an die Qualität. Ebenso haben die soziale Institution und ihre professionellen Mitarbeitenden Ansprüche an die Qualität der Leistung. Qualität in sozialen Organisationen findet also im sogenannten sozialrechtlichen Dreieck statt. Ganz im Gegensatz zum profitorientierten Sektor, wo die Kund*innen die Qualitätsstandards setzen. Schon deswegen kann Qualität im Sozialbereich nicht allgemeingültig und objektiv bestimmt werden. Vielmehr handelt es sich um eine subjektive Bewertung des Nutzens durch die Klient*innen, den Kostenträger und aus Sicht der betreuerischen, sozialpädagogischen oder pflegerischen Fachpersonen. Die verschiedenen Anspruchsgruppen haben je eigene, unterschiedliche Vorstellungen und Werte. Schliesslich kann bspw., was für Bewohner*innen wünschenswert ist, aus sozialpädagogischen Überlegungen negativ zu beurteilen sein oder aus der Sicht der Kostenträger zu teuer sein. Deswegen gilt: Qualität ist eine Frage der Perspektive. Dementsprechend kann Qualität unterschiedlich definiert werden. 4 ausgewählte Definitionen von "Qualität" Je nach Sichtweise wird Qualität anders definiert. Im Folgenden möchte ich euch deshalb vier bekannte Definitionen vorstellen. 1) Fünf Sichtweisen von Qualität nach Garvin Nach Garvin (1988) gibt es fünf verschiedene Sichtweisen, wie man Qualität beschreiben kann:
2) Grundsätze des Qualitätsmanagements der ISO 9000:2005 Die ISO enthält einen Mindeststandard an Forderungen, nach dem das Qualitätsmanagementsystem in Unternehmen zu gestalten ist. Danach sind zentrale Dimensionen:
3) Qualitätsdimensionen nach Donabedian (1966) Avis Donabedian hat als einer der ersten den Qualitätsbegriff auf den Gesundheitsbereich übertragen, ursprünglich mit Blick auf die medizinische und pflegerische Versorgung. Er hat Qualität in drei Dimensionen unterteilt: Strukturqualität, Prozessqualität und Ergebnisqualität. Die Strukturqualität ... betrifft die strukturellen Bedingungen. Dazu gehören die Voraussetzungen und die gegebenen Rahmenbedingungen, über welche die Institution verfügt. Die Frage, die hier beantwortet wird, ist: Mit welcher Struktur werden die Ziele erreicht?
Donabedian geht davon aus, dass alle drei Qualitätsdimensionen in einem Zusammenhang stehen und sich gegenseitig beeinflussen. Die Strukturen wirken auf die Prozesse und diese bestimmen die Ergebnisqualität, welche wiederum das Planen von Veränderungen bei Prozessen und Strukturen hervorrufen wird. Dabei dient die Struktur als Basis für gute medizinische und pflegerische Leistungen und der Prozessqualität kommt für die Erzielung ebendieser eine hervorgehobene Bedeutung zu. Wegen seiner Anschaulichkeit und Praktikabilität wurde dieses Konzept zunächst in anderen Bereichen des Gesundheitswesens aufgegriffen und wird inzwischen auch im Sozialbereich angewendet. In Deutschland fordert selbst der Gesetzgeber den Nachweis dieser drei Qualitätskriterien. 4) Zentrale Qualitätsdimensionen für die Soziale Arbeit der Hochschule HSA Bern Im Rahmen einer Forschungs- und Entwicklungsarbeit hat die Hochschule für Sozialarbeit Bern (HSA) folgende fünf Aspekte von Qualität für die Soziale Arbeit definiert: 1. Die strategischen Rahmenbedingungen Das heisst, der Auftrag muss geklärt sein und die Strategie festgelegt werden, zum Beispiel anhand von Leistungskatalogen und Leitlinien. 2. Die Fachqualität Die Fachqualität bezieht sich auf die konzeptionelle Klarheit, die systematische Arbeitsweise und Dokumentation. Es müssen Konzepte und Handlungsanweisungen bestehen, welche die Kernprozesse detailliert beschreiben. Die Arbeit muss systematisch reflektiert und dokumentiert werden. Darüber hinaus muss das Leistungsangebot für die Klientel klar sein. 3. Die Managementqualität Ein Managementkonzept muss vorhanden sein. Darin werden Stellen, Aufgaben, Verantwortungen und Zeitbudgets für die Managementfunktionen beschrieben: Strategie- und Zieldefinition, Planung, Organisation, Ressourcensteuerung und -einsatz, Controlling sowie auch die Kontrolle und Entscheidungsfindung im laufenden Alltag. 4. Die Anspruchsgruppenqualität Die Kooperation und der Einbezug der Rückmeldungen der Anspruchsgruppen sind ebenfalls wichtiger Bestandteil, um Qualität herzustellen. 5. Die Mitarbeitendenqualität Dieser Aspekt bezieht sich unter anderem auf die Personalführung, die Personalentwicklung und Mitwirkungsmöglichkeiten des Personals. Qualität ist ein Balanceakt Qualität ist Ziel aller sozialer Organisationen. Nicht umsonst haben Qualitätssicherung und -Entwicklung in den meisten Konzepten ein eigenes Kapitel erobert. Bei der Umsetzung besteht die eine Herausforderung darin, eine Balance zwischen den Ansprüchen an Wirtschaftlichkeit und Qualität zu halten. Ist der Fokus zu stark auf Wirtschaftlichkeit ausgerichtet, so leidet die Qualität. Die andere Herausforderung im Umgang mit Qualitätssicherung ist, dass sich Qualität im sozialen Bereich nicht wie ein Warenstück messen lässt – sie ist nicht berechenbar. Welche Ansätze es zur Entwicklung, Sicherung und Überprüfung von Qualität gibt, darauf gehe ich in meinem nächsten Artikel im März 2019 ein. Literatur und Links INSOS: Nationaler Branchenverband der Institutionen für Menschen mit Behinderung. Online: https://www.insos.ch/ (letzter Zugriff: 1.2.2019). Iseli, Daniel (2003): Qualität: die entscheidende Frage für die Soziale Arbeit? In: sozialaktuell, Neue Praxis. Online: http://www.avenirsocial.ch/sozialaktuell/sozial_aktuell_3080_3083.pdf (letzter Zugriff: 1.2.2019). ISO: International Organization for Standardisation. Online: https://www.iso.org (letzter Zugriff: 1.2.2019). Peterander, Franz/Speck, Otto (Hrsg.) (2004): Qualitätsmanagement in sozialen Einrichtungen. Ernst Reinhardt Verlag. München, Basel. Vomberg, Edeltraud (2010): Praktisches Qualitätsmanagement. Ein Leitfaden für kleinere und mittlere soziale Einrichtungen. Kohlhammer Verlag, Stuttgart.
Quer essen, viel trinken und ausreichend Bewegung: Die Formel für einen gesunden Körper ist einfach. Trotzdem fällt es uns oft schwer, uns daran zu halten. Weshalb? Stress, Einsamkeit, Langeweile, Unwissen oder psychische, körperliche oder geistige Beeinträchtigungen können das Essverhalten stark beeinflussen. Übergewicht kann aber nicht nur das Wohlbefinden und die Gesundheit eines Menschen, sondern auch sein Selbstvertrauen, seine Selbstständigkeit und seine Beziehungen beeinträchtigen. Es ist daher verständlich, dass Angehörige und Fachpersonen Betreuung Klienten schützen möchten. Doch wie viel darf in das Essverhalten eingegriffen werden? Das Essverhalten ist ein höchstpersönliches Recht Das Essverhalten, wie viel und was ein Mensch essen möchte, gehört zu den höchstpersönlichen Rechten jedes Menschen. Höchstpersönliche Rechte sind solche, die «einer Person um ihrer Persönlichkeit willen zustehen». Diese Rechte können auch von handlungsunfähigen Personen wahrgenommen werden, falls sie urteilsfähig sind. Der rechtliche Vertreter ist bei solchen Geschäften nicht berechtigt, in Vertretung einer urteilsfähigen Person zu handeln. Es gilt demnach in einem ersten Schritt festzustellen, ob der Klient oder die Klientin urteilsfähig ist. Entscheidende Fragen dazu sind:
Nur der Arzt darf eine Diät anordnen Eine Diät kann nur dann gegen den Willen des Klienten umgesetzt werden, wenn er in dieser Angelegenheit nicht urteilsfähig ist und der Arzt eine Diät verordnet. Damit aber noch nicht genug: Es liegt dann in der Verantwortung der rechtlichen Vertretung (vgl. die Kaskade in Art. 378 ZGB), für den Klienten (nach dessen mutmasslichem Willen) über die Umsetzung der Anordnung zu entscheiden. Erst wenn die rechtliche Vertretung mit der ärztlichen Anordnung einverstanden ist, darf sie auch umgesetzt werden. Zwangsmassnahmen, also Durchsetzung gegen den erklärten Willen von solchen Massnahmen, sind nach ZGB nur möglich, wenn eine FU, eine fürsorgliche Unterbringung, besteht und die Zwangsmassnahme als solche medizinisch angeordnet ist (vgl. dazu Art. 434 ZGB.), ansonsten nur in Notfällen und bei Notstandssituationen. Wenn Eltern eine Diät wünschen - Beispiele aus der Praxis Zur Veranschaulichung folgen hier zwei Beispiele: Eltern (die gleichzeitig auch rechtliche Vertretungen sind) geben den Fachpersonen Betreuung einen Zettel, auf dem steht, was der Klient essen darf. In diesem Fall geschieht dies aus religiösen Gründen. Die Eltern erwarten von den Fachpersonen Betreuung, dass sie darauf achten, dass ihr Sohn, der Klient ist, kein Schweinefleisch isst, weil er von sich aus nicht darauf achten würde. Hier gilt: Unabhängig davon, ob der Klient urteilsfähig ist oder nicht, dürfen die Eltern oder rechtliche Vertretung nicht vorschreiben, was ihr erwachsener Sohn essen soll. Denn sowohl die Ernährung als auch die religiöse Zugehörigkeit sind höchstpersönliche Rechte, bei denen die gesetzlichen Vertreter nicht berechtigt sind, in Vertretung der urteilsfähigen Person zu handeln. Die Fachpersonen dürfen demzufolge dem Wunsch der Eltern nicht nachkommen, die Schweinefleischdiät umzusetzen. Falls der Betroffene es ausdrücklich wünscht, können die Fachpersonen ihn darauf hinweisen, in welchen Menüs Schweinefleisch enthalten ist. Und der Klient darf natürlich jederzeit von sich aus darauf verzichten. Die zuständige Bezugsperson ordnet an, dass die Klientin kleinere Portionen erhält, weil sie gesundheitliche Beschwerden bei der Klientin vermutet und aus Sorge, dass durch das Übergewicht weitere gesundheitliche Schäden entstehen können. Hier gilt: Eine Diät kann weder von der rechtlichen Vertretung, von Eltern, noch von Fachpersonen Betreuung angeordnet werden. Eine Anordnung der Diät ist nur dann möglich, wenn die drei folgenden Punkte erfüllt sind: 1. Der Klient ist nicht urteilsfähig. 2. Der Arzt verordnet eine Diät. 3. Die rechtliche Vertretung entscheidet sich für die Umsetzung der ärztlich angeordneten Diät. Aufklärung und eine gesunde Küche Der Spielraum der Institutionen und Fachpersonen ist, was Diäten angeht, klein. Das bedeutet aber nicht, dass sie keine Verantwortung übernehmen müssen. Die Frage, die sich daraus stellt, ist wie? Durch Aufklärung der Betroffenen und über eine gesunde Küche. Es ist wichtig, die Klienten über gesunde Ernährung und über die Konsequenzen einer einseitigen Ernährung und Übergewicht aufzuklären. Ausserdem sollte möglichst kreativ versucht werden, die Personen zu gesunder Ernährung zu motivieren. Ein ausgewogenes Ernährungskonzept der Küche und eine vielseitige, gesunde Menüauswahl tragen zu einer gesunden Ernährung bei. Doch wenn sich eine Person entscheidet, nicht mitzumachen, muss das respektiert werden. «Fachpersonen sind keine Polizisten, sondern Coaches, die Menschen auf ihrem Weg bestmöglich unterstützen» (Lauber 2017, S. 3). Um spätere Konflikte mit Angehörigen zu vermeiden, ist es sinnvoll Eltern und rechtliche Vertretungen schon beim Eintritt in die Institution über Ihre Rechte und deren Grenzen aufzuklären. Literatur und Links Lauber, Beatrice (2017): «Verbote schaffen kein Bewusstsein». In Insos. Online: https://www.insos.ch/assets/Downloads/INSOS-Magazin-1-2017-Ernaehrung.pdf (letzter Zugriff: 03.01.2019) Pro Infirmis: Höchstpersönliche Rechte. Online: https://www.proinfirmis.ch/behindertwastun/erwachsenenschutz/urteilsfaehigkeit-und-handlungsfaehigkeit.html (letzter Zugriff: 03.01.2019)
Wirkungsmessung: Der neue Weg für soziale Institutionen zu mehr Ressourcen und Legitimität14/12/2018 Wirkungsmessung ist immer mehr ein Thema, auch im Sozialbereich. Der «Social Impact», die Wirkung der Leistung sozialer Organisationen, soll ausgewiesen werden. Vor allem in Österreich ist die Nachfrage nach Wirkungsmessungen im NPO-Sektor sehr gross und wächst ständig, erklärt Frau Rauscher von der Wirtschaftsuniversität Wien in ihrem Vortrag an der ZHAW zu diesem Thema am 2. Oktober 2018. In Grossbritannien können soziale Organisationen bereits auf fertige Guidelines zur Erstellung von Wirkungsanalysen zurückgreifen. Aber auch in der Schweiz wird Wirkungsmessung immer häufiger diskutiert. Weshalb Wirkungsmessung immer mehr zum Thema wird Es gibt verschiedene Gründe, weshalb je länger je mehr soziale Organisationen ihre Wirkung messen: zur Mobilisierung von Ressourcen, für die Suche nach Partnern und Kooperationen, für die Wettbewerbsfähigkeit. Es lohnt sich aber auch aus politischen Gründen, die eigene Wirkung auszuweisen. Die Organisationen versprechen sich davon Legitimität und kommen damit den Forderungen der Öffentlichkeit nach Transparenz nach. Schliesslich profitieren sie aber auch ganz direkt davon, da sie unter Umständen eine verbesserte Datenbasis für Entscheide erlangen, durch die Erhebung Organisationsentwicklung betreiben und damit auch innovativ bleiben (vgl. Kehl & Sundermann 2017, S. 3). Den Outcome nachweisen: Messung mittels wissenschaftlicher Methoden Zur Messung von Wirkung bieten sich die klassischen wissenschaftlichen Methoden an. Zunächst ist wichtig, dass die Organisation festhält, welche Ziele sie mit der Wirkungsanalyse verfolgen möchte. Aufgrund der Zieldefinition wird ein Modell gebildet. Darin wird festgehalten, welche Ziele die Organisation mit welchen Aktivitäten und Ressourcen erreicht. Es werden Wirkungsketten beschrieben: Input à Aktivitäten à Output à Outcome. Aufgrund der Zieldefinition und Modellbildung wird überlegt, mit welchen Forschungsmethoden die Daten am besten erhoben werden können: beispielsweise mit Interviews oder durch die Analyse vorhandener Daten. Schliesslich werden die Daten ausgewertet und interpretiert und die festgestellte Wirkung dokumentiert (vgl. Kehl & Sundermann 2017, S. 4). Die Wirkung in Franken: der Social Return on Investment Eine Möglichkeit, die Wirkung zu messen, besteht in der SROI-Analyse, ausgeschrieben «Social Return on Investment»-Analyse. Der SROI versucht, die erbrachte Wirkung in Geld auszudrücken. «Der SROI geht von dem Grundsatz aus, dass Mittel, die im „Non-Profit-Bereich“ ausgegeben werden, als Investitionen zu begreifen sind, deren erzielte Gesamtwirkung als SROI, als sozialer, ökologischer und ökonomischer Gegenwert der Investition, verstanden und gemessen werden kann» (Tria 2013, S. 1). Der SROI basiert auf den Wirtschaftsmodellen ROI (Return on Investment) und der Kosten-Nutzen-Analyse. Er wurde erstmals 1996 vom Robert Enterprise Development Fund vorgestellt. Der SROI ergibt sich demnach aus: SROI = Eigenwirkung (erzeugter sozialer, ökologischer und ökonomischer Gegenwert): Einsatz von Mitteln (sozial, ökologisch und ökonomisch) Wirkungsanalysen können auch im Kleinen gemacht werden! Vielleicht kann ich Sie aber im Folgenden doch wieder etwas beruhigen. Denn die Podiumsgäste an der Veranstaltung am 2. Oktober 2018 an der ZHAW zum Thema «Wirkungsmessung: voller Erfolg oder leere Versprechen» waren sich einig: Wirkungsanalysen können auch im Kleinen gemacht werden! Auch eine Fallgeschichte einer Person im Jahresbericht ist ein Wirkungsbericht. Zudem sind der Beweis und die Messung der Wirkung für soziale Organisationen oft gar nicht so wichtig, sondern das Aufstellen von Thesen zur Ursache-Wirkung reichen schon. Insbesondere wird das Aufstellen dieser Thesen dann als gewinnbringend eingeschätzt, wenn sie als partizipativer Prozess stattfindet, an dem die ganze Organisation teilnimmt. Zum Schluss finden Sie wie immer einige wertvolle Literaturtipps und Links zum Thema. Ein besonders gelungenes Beispiel, wie Wirkung ausgewiesen werden kann, zeigt uns die Institution Brüggli. Brüggli ist ein Ausbildungs- und Integrationsunternehmen, das sich für Menschen mit körperlichen und psychischen Schwierigkeiten engagiert. Seit über zehn Jahren publiziert das Brüggli eine Sozialbilanz, in der sie die Wirkung ihrer Leistungen für die Öffentlichkeit beschreibt. Einen Blick reinzuwerfen lohnt sich: https://www.brueggli.ch/warum/sozialbilanz.html. Literatur und Links Brüggli: Sozialbilanz. Online: https://www.brueggli.ch/warum/sozialbilanz.html (Letzter Zugriff: 1.12.2018) Münster Journal (2015): Mehr Lebensqualität für Sterbende und ihre Angehörigen. Online: https://muenster-journal.de/2015/11/mehr-lebensqualitaet-fuer-sterbende-und-ihre-angehoerigen/ (Letzter Zugriff: 1.12.2018) Kehl, Konstantin/Sundermann, Larissa M. (2017): Wirkung und Effektivität. Wie Sie die Leistungsfähigkeit Ihrer Organisation prüfen und nutzen können. Online: https://www.zhaw.ch/de/sozialearbeit/institute-zentren/ism/news-ism-detail/news-single/wirkung-und-effektivitaet (Letzter Zugriff: 1.12.2018) SRS social reporting standard (2011): Guidelines for impact-oriented reporting. Online: https://www.social-reporting-standard.de/fileadmin/redaktion/downloads/SRS_guidelines_2012_EN.pdf (Letzter Zugriff: 1.12.2018) Tria, Bettina (2013): Social Return on Investment – ein Ansatz zur Messung der erzeugten Eigenwirkung. Verlag Dashöfer GmbH. Online: https://www.kompass-sozialmanagement.de/social-return-on-investment-ein-ansatz-zur-messung-der-erzeugten-eigenwirkung.html?src=5
Sowohl die Gesamtbevölkerung als auch Menschen mit einer Behinderung werden immer älter. Wurden die Menschen mit geistigen Behinderungen 1930 durchschnittlich 20 Jahre alt, so werden sie heute über 70 (vgl. insieme, online). Damit stellen sich neue Fragen: Wie und nach welchen agogischen Grundsätzen sollen ältere Menschen begleitet werden? Im Folgenden möchte ich euch gerne die Alterstheorien vorstellen, die in der Literatur massgebliche Bedeutung erlangt haben. 1. Das Defizitmodell: Älter werden gleich schwächer werden Das bekannteste und am meisten kritisierte Modell ist das Defizitmodell der geistigen Entwicklung im Alter. Das Modell lässt sich bis in die Antike zurückverfolgen. Die Hypothese lautet: Der physiologische, psychische und körperliche Allgemeinzustand würde sich im Alter auf allen Ebenen verschlechtern. Dies ist genetisch so bestimmt und der allmähliche Abbau ist unumkehrbar. 2. Die Aktivitätstheorie: Ältere Menschen sind dann glücklich, wenn sie aktiv sind Die Aktivitätstheorie: Ältere Menschen sind dann glücklich, wenn sie aktiv sind (Tartler, 1961) Die Aktivitätstheorie besagt, dass der alternde Mensch aktiv sein möchte und soziales Teilhaben anstrebt. Die Hypothese lautet: Wer aktiv ist, ist zufrieden. Der Mensch ist nur glücklich und zufrieden, wenn er aktiv ist, etwas leisten kann, Aufgaben hat und gebraucht wird. Im Gegensatz dazu ist der Mensch, der nicht mehr «gebraucht« wird, der keine »Funktion« mehr in der Gesellschaft hat, unglücklich und unzufrieden. »Optimales Altern« ist somit von der Weiterführung eines aktiven Lebensstils und dem Aufrechterhalten der eigenen sozialen Kontakte älterer Menschen abhängig. Um glücklich zu altern werden die Aktivitäten des mittleren Erwachsenenalters so lange wie möglich beibehalten. Für Aktivitäten, die man wie die Berufstätigkeit aufgeben muss oder für Freunde und geliebte Menschen, die durch den Tod verloren gehen, findet man Ersatz. In verschiedenen Studien konnte zum Einen bestätigt werden, dass Aktivität positive Auswirkungen auf das Selbstbild älterer Menschen habe. Und zum Anderen wurde nachgewiesen, dass ein positives Selbstbild die wichtigste Voraussetzung für Lebenszufriedenheit und damit für ein »erfolgreiches Altern« ist. Diese Theorie wurde bis heute vielfach überarbeitet. Dabei wird vor allem eins deutlich: Damit ältere Menschen zufrieden sind, müssen die gewünschte und die tatsächlich realisierte soziale Teilhabe übereinstimmen. 3. Disengagementtheorie: Ältere Menschen möchten ihre Ruhe (Cumming & Henry, 1961) Diese Theorie steht als Gegenstück zur Aktivitätstheorie, in der der alte Mensch mit Angeboten, sich aktiv zu beschäftigen, zum Teil überhäuft wird. Übersetzt bedeutet der Begriff Disengagement «Rückzug». Der Rückzug aus gesellschaftlichen und sozialen Verpflichtungen im Alter wird als durchaus normal angesehen. Am deutlichsten wird der Rückzug älterer Menschen beim Austritt aus dem Erwerbsleben. Der Rückzug findet aber immer von beiden Seiten aus statt: die Gesellschaft zieht sich vom Individuum zurück und umgekehrt. Aktiv bleiben bis ins hohe Alter vereinbart sich nicht mit dem nahen Lebensende. Die Disengagementtheorie wird häufig als direkter Gegenspieler zur Aktivitätstheorie gesehen. Die Entwicklung beider Theorien verlief aber fast gleichzeitig. In den Überarbeitungen wird deutlich: Lebenszufriedenheit im Alter resultiert aus einer höchst individuellen Auseinandersetzung mit den Veränderungen im sozialen Umfeld. Das Resultat dieser Auseinandersetzung lässt sich nicht bei allen Menschen als soziales Disengagement beschreiben. 4. Kontinuitätstheorie: Es ist wichtig im Alter seine Gewohnheiten aufrechtzuerhalten Die Kontinuitätstheorie verbindet die Aktivitäts- und die Disengagementtheorie. Denn die Hypothese lautet: Menschen möchten auch im Alter ihren Lebensstil aufrecht erhalten. Dies bedeutet, dass häusliche Menschen auch im Alter zum Rückzug tendieren und diesen als Erleichterung empfinden, während aktive Menschen auch im Alter viele soziale Kontakte benötigen. 5. Kompetenztheorie: Lebensqualität durch die Passung von Person und Umwelt (Bspw. Olbrich, 1987 oder Baltes & Baltes, 1990) Diese Theorie versteht Altern als dynamischen Anpassungsprozess. Erfolgreiches Altern und Zufriedenheit im Alter wird mit der Passung von Person und Situation in Zusammenhang gebracht. Das bedeutet, die Anforderungen einer Situation müssen mit den Ressourcen der Person übereinstimmen. Dementsprechend wird unter «Kompetenz» die Balance zwischen den Anforderungen einer gegebenen Situation und den individuellen Ressourcen verstanden. Um eine möglichst optimale Passung mit der Umwelt herzustellen, setzt der ältere Mensch seine individuellen Ressourcen ein. Damit gemeint sind seine eigenen Fähigkeiten, aber auch Unterstützungsleistungen, wie beispielsweise ein Rollstuhl oder das Annehmen der logopädischen Therapie. Eine weitere wichtige Massnahme ist die «Selektion» – darunter verstanden wird die Auswahl von Zielen (vgl. SOK-Modell nach Freund, Baltes, 2002). Das macht den älteren Menschen kompetent – deshalb Kompetenztheorie. Das Ausnützen der eigenen Ressourcen steht in einem hohen Zusammenhang mit der eigenen Lebensqualität. «Alt sein ist eine herrliche Sache, wenn man nicht verlernt hat, was anfangen heisst.» Martin BuberSo gegensätzlich die Theorieansätze sind, so unterschiedlich sind wir Menschen. Das Einzige, was uns allen gleich ist, ist, dass wir älter werden. Sie haben es bestimmt schon vermutet: Wie ältere Menschen optimal begleitet werden sollen, kann deshalb nicht so leicht verallgemeinert werden. Zusammenfassend können wir jedoch festhalten: Ältere Menschen sollten die Möglichkeit haben, aktiv zu sein, wenn sie das Bedürfnis danach haben und die Möglichkeit sich zurückzuziehen, wenn sie ihre Ruhe wünschen. Unterstützen Sie ältere Menschen dabei, ihre Lebensgewohnheiten und Routinen soweit als möglich aufrechtzuerhalten. Helfen Sie ihnen ihre individuellen Ressourcen und Fähigkeiten neu zu entdecken, um mit den Herausforderungen umzugehen. Denn eine hohe Lebensqualität und Zufriedenheit entstehen dann, wenn die eigenen Ressourcen genutzt werden können und die Anforderungen einer Situation mit diesen bewältigt werden können. Literatur und Links Cumming, E. & Henry, W.E. (1961). Growing old: the process of disengagement. New York: Basic Books. Freund, A. M. & Baltes, P. B. (2002). Life-management strategies of selection, optimization, and compensation: Measurement by self-report and construct validity. Journal of Personality and Social Psychology, 82, 642–662. Fleischmann, Ulrich M. (2000): Gerontopsychologie. Online: https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/gerontopsychologie/5767. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg. Letzter Zugriff: 19.11.2018 Tartler, R. (1961). Das Altern in der modernen Gesellschaft. Stuttgart: Enke. Insieme: Alt werden. Online: http://insieme.ch/leben-im-alltag/alt-werden (letzter Zugriff: 19.11.2018).
Noch nie zuvor war Medienkompetenz für Kinder von so grosser Bedeutung «Eine 13-jährige Schülerin aus Spreitenbach nahm sich wegen Cybermobbings das Leben» (Aargauer Zeitung, 10.10.2017). Es gibt kaum ein Land, in dem nicht von Suiziden aufgrund von Cybermobbing berichtet wird. Die Schlagzeilen der Zeitungen hören sich immer ähnlich an. So auch die in Deutschland: „15-Jährige tötet sich nach Cyber-Mobbing. Ihre Eltern sagen, ihre Tochter sei mit Beschimpfungen und Mobbing in sozialen Netzwerken wie Facebook nicht zurechtgekommen“ (Stern 22.09.2012, online). Das Internet birgt für Kinder Risiken und Mobbing ist nur eine davon. Sucht man beispielsweise auf Google nach „Internetsucht Kind“ lassen sich in nur 0.25 Sekunden 51`400 Ergebnisse finden. Und „sexuelle Belästigung“ findet heute, laut SRF (2013), am häufigsten via Internet statt (vgl. online). Medienerziehung durch die Eltern ist daher so wichtig wie noch nie zuvor, wenn es darum geht, den Gefahren im Internets zu begegnen und dieses angemessen zu nutzen. Die Frage, die sich aufdrängt, ist, wie Medienkompetenz und das medienerzieherische Handeln gestärkt werden können. Kinder und Jugendliche haben überall Zugriff zum Netz Anders als für alle vorherigen Generationen ist es für heutige Kinder und Jugendliche normal, mit dem Internet aufzuwachsen. Die allermeisten Kinder und Jugendlichen haben Zuhause einen Computer. Das Internet wird allerdings nicht mehr ausschliesslich über den Computer genutzt. Fast alle neueren Spielkonsolen und Fernseher können mit dem Internet verbunden werden und in vielen Wohnzimmern steht ein Fernseher mit Internetzugang. Aber auch die Kinderzimmer sind immer häufiger mit Medien ausgestattet. Die genauen Angaben der Anteile an den jeweiligen Medien im Kinderzimmer können untenstehender Graphik aus der Studie von Steiner und Goldoni (2011) entnommen werden (vgl. S. 27). Abbildung 1: Anteil der Kinder mit Medien im Kinderzimmer nach Jahren, kumuliert (Steiner/Goldoni 2011, S. 27) Dazu kommt, dass das Internet heute längst nicht mehr nur von zuhause aus genutzt wird. Handys, Tablets und andere mobile Geräte, wie Musikplayer und tragbare Spielkonsolen, bieten die Möglichkeit von unterwegs auf das Internet zuzugreifen. Immer mehr öffentliche Plätze, Restaurants und Cafés stellen kostenlos WLAN zur freien Nutzung zur Verfügung. Cybermobbing, Cybergrooming und anderen Gefahren im Internet „Sexuelle Darstellungen, Cybermobbing, Sexuelle Nachrichten, Kontakt und Treffen mit Fremden, problematische nutzergenerierte Inhalte, übermässige Internetnutzung und Missbrauch persönlicher Daten […]“ (Hermida 2013, S. 6). Die Liste der Risiken, die das Netz mit sich bringt, ist lang. Cybermobbing kann, wie die Schlagzeile in der Einleitung zeigte, so weit gehen, dass sich Kinder und Jugendliche deswegen das Leben nehmen. Nachgewiesen werden konnte ausserdem, dass Cyberopfer, ebenso wie auch traditionelle Mobbingopfer, erhöhte Depressivitätswerte aufweisen. Sexuelle Darstellungen gehören zu den Risiken, denen die meisten Kinder und Jugendlichen im Internet ausgesetzt sind. „Am häufigsten haben Kinder unbeabsichtigt Kontakt mit sexuellen Darstellungen durch Pop-ups“ (Hermida 2013, S. 7). Fast allen jüngeren Kindern, aber auch vielen Jugendlichen ist dies unangenehm. Bedenklich scheint, dass nur die wenigsten Kinder, sich damit auch an jemanden wendeten. Die Mehrheit hofft, das Problem löse sich von alleine und wählen eine passive Lösungsstrategie (vgl. a.a.O., S. 8f). Die nächste Stufe ist sexuelle Belästigung durch Pädokriminelle. In diesem Zusammenhang wird der Begriff Cyber-Grooming gebraucht, was übersetzt «Internet-Streicheln» bedeutet. «Dabei geht es darum, dass Pädokriminelle unter falscher Identität Kontakte zu Minderjährigen knüpfen, ihr Vertrauen gewinnen und sie dann dazu bringen, blossstellende oder kinderpornografische Bilder und Videos an sie zu schicken oder sich mit ihnen zu treffen» (Stadtpolizei Zürich, online). Was können Eltern tun, um ihre Kinder vor den Gefahren des Internets zu schützen? Studien zeigen, dass viele Eltern die Mediennutzung ihrer eigenen Kinder falsch einschätzen. „Interpretieren kann man dies dahin, dass eine erhebliche Diskrepanz besteht zwischen elterlichem Wissen, dass ihre Kinder im Netz sind, und einem Mangel an Kontrolle bzw. positiv orientierter Kommunikation über das, was die Kinder in diesem Netz tun bzw. erfahren“ (vgl. Wegel et al. 2013, S. 162). Will man sein eigenes Kind vor den Gefahren des Internets schützen, so ist es in einem ersten Schritt wichtig ist, sich über das Nutzungsverhalten des eigenen Kindes im Klaren zu werden. Auf welchen Seiten ist es? Hat es irgendwelche persönlichen Profile erstellt? Wie viel Zeit verbringt es wo? Eine offene Kommunikation, aber auch die Kontrolle zum Beispiel mittels Überprüfung des Verlaufs oder der Einsatzes von Software sind dabei hilfreich. Ausserdem ist eine medienkritische Haltung wichtig. Man sollte sich die Risiken und Gefahren des Netzes bewusst machen, um gemeinsam mit dem Kind daraufhin reagieren zu können. Medienerziehung beinhaltet allerdings mehr als nur Kontrolle beziehungsweise Monitoring der Kinder. Zumal dies längst gar nicht mehr immer möglich ist. Nebst Monitoring und Restriktionen, zum Beispiel zeitlicher, aber auch inhaltlicher Art, ist deswegen die aktive Mediation von zentraler Bedeutung. Die Stadtpolizei Zürich hat dazu unter anderem diese Tipps veröffentlicht:
Literatur und Links: Aargauer Zeitung. Jürg Krebs (10.10.2017): Suizid von Sabrina (†13): Das sagt Gerichtspsychiater Josef Sachs über das «Du wirst sterben»-Video. Online: https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/suizid-von-sabrina-13-das-sagt-gerichtspsychiater-josef-sachs-ueber-das-du-wirst-sterben-video-131793312 [letzter Zugriff: 52.10.2018]. Hermida, Martin / Signer, Sara (2013): Wie Eltern ihre Kinder im Internet begleiten. Regulierung der Internetnutzung durch Eltern. Erstellt im Auftrag des nationalen Programms Jugend und Medien. Online verfügbar: http://www.jugendundmedien.ch/de/fachwissen/publikationen/category/41.html?cHash=c6165a1a10bbb3e4e771b664d74e9c1b#sthash.UrF07KJh.dpuf [letzter Zugriff: 25.10.2018 SRF News: Sexueller Missbrauch von Kindern ist „alarmierend“ hoch (29.10.2013) http://www.srf.ch/news/schweiz/sexueller-missbrauch-von-kindern-ist-alarmierend-hoch [letzter Zugriff: 25.10.2018]. Steiner, Olivier / Goldoni, Marc (2011): Medienkompetenz und medienerzieherisches Handeln von Eltern. Eine empirische Untersuchung bei Eltern von 10- bis 17-jährigen Kindern in Basel-Stadt. Hochschule für Soziale Arbeit, Fachhochschule Nordwestschweiz: Basel/Olten. Stern (2012): 15-Jährige tötet sich nach Cyber-Mobbing. http://www.stern.de/digital/online/selbstmord-nach-cyber-mobbing-1510308.html [letzter Zugriff: 25.10.2018]. Wegel, Melanie / Kerner, Hans-Jürgen / Stroezel, Holger (2013): Jugendliches Verhalten im Internet und elterliche Kontrolle. Befunde der 3. Tübinger Schülerbefragung. In: Pädagogische Rundschau, Heft 2, 67. Jahrgang 2013, S. 161 – 172. Stadtpolizei Zürich, online: https://www.schaugenau.ch/de/belaestigungen#!sexuelle_belaestigung [letzter Zugriff: 25.10.2018].
UK - ein Leben lang Unter diesem Motto stand das diesjährige UK-Symposium an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Denn: «Um die kommunikative Situation von Menschen, die in ihrer Laut- und/oder Schriftsprache beeinträchtigt sind, zu verbessern, braucht es ein lebenslanges Engagement von allen.» (FHNW, online). Viele Fachpersonen kamen an diesem Tag in Olten zusammen, um neue Erkenntnisse vorzustellen und sich auszutauschen. Besonders beschäftigt haben mich die Fragen: Was hat sich im Bereich der UK verändert? Was sind Gelingensbedingungen zur Umsetzung von UK? Gerne möchte ich meine Erkenntnisse hier mit Ihnen teilen. UK steht für Unterstützte Kommunikation
UK steht für Unterstützte Kommunikation und hat zum Ziel, allen Menschen mit unterschiedlichen Voraussetzungen Kommunikation zu erleichtern. UK ist die deutsche Bezeichnung für das internationale Fachgebiet „Augmentative and Alternative Communication (AAC)“. Übersetzt bedeutet der englische Fachausdruck „ergänzende und ersetzende Kommunikation“. Damit sind alle pädagogischen oder therapeutischen Massnahmen gemeint, die fehlende Lautsprache ergänzen oder ersetzen, um die kommunikativen Möglichkeiten zu erweitern. Die Massnahmen reichen von einfachen Gesten, Bildern, grafischen Symbolen, Gebärden bis hin zu technischen Kommunikationshilfen mit künstlicher Sprachausgabe. Die Wichtigkeit von UK wächst – gefordert sind die Geschäftsleitungen Mit ca. 300 Teilnehmenden war das UK-Symposium restlos ausgebucht. Das ist ein Hinweis auf das grosse Interesse und die wachsende Wichtigkeit von UK. Gabriela Antener, Professorin an der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW in Olten, erklärt im Einstiegsreferat, dass die Zahl der Menschen, die UK brauchen, in den letzten 20 bis 30 Jahren angestiegen ist. Dies aus drei Gründen: Erstens durch die bessere medizinische Versorgung, zweites durch die gestiegene Lebenserwartung und drittens, weil der Nutzen von UK für breitere Gruppen erkannt worden ist. Tatsächlich ist die Zielgruppe von UK sehr heterogen in Bezug auf das Alter und die Lebenssituation, Zeitpunkt und Dauer der Kommunikationsbeeinträchtigung sowie die Fähigkeiten und Beeinträchtigungen. Beispielsweise kann UK bei Kindern oder Erwachsenen eingesetzt werden, die mit einer geistigen Behinderung auf die Welt gekommen sind und die Sprache von Grund auf am Lernen sind. Aber auch Menschen mit Demenz, deren aktiver Wortschatz sich reduziert hat, oder Menschen mit Aphasie nach einer Hirnverletzung profitieren von den Methoden und Hilfsmitteln der UK. Dorothea Lage, ebenfalls Professorin an der Fachhochschule Nordwestschweiz und auch bekannt als «Miss UK» beobachtet, dass UK immer mehr ein Managementthema ist. Organisationen beschäftigen sich immer mehr mit der Frage, wie UK sinnvoll und längerfristig integriert werden kann. Denn viele Kantone haben in ihren Gesetzen zur Betreuung das Thema «Teilhabe» und die Orientierung an der BRK drin, was UK automatisch zu einer Verpflichtung macht. In erster Linie sind in den Organisationen die Geschäftsleitungen für die Einführung und Etablierung von UK in ihrer Institution verantwortlich. Deswegen sagt Dorothea Lage: UK ist Chefsache! Und betont, es sei an der Zeit, dass Chefs aktiv werden, denn noch immer haben viele Menschen keinen Zugang zu UK. Die BSV-Studie zeigt: UK-Zuständige in den Institutionen haben zu wenig Ressourcen und Kompetenzen Das BSV (Bundesamt für Sozialversicherungen) hat 2016 eine Studie zum Thema UK veröffentlicht, in der es darum ging, die Abgabe von Kommunikationsgeräten an Versicherte der Invalidenversicherung zu untersuchen. Die Ergebnisse haben gezeigt, dass die Kommunikationsgeräte wichtig sind, um den Betroffenen die Teilhabe in der Gesellschaft zu ermöglichen. Allerdings zeigte sich auch, dass die Nutzung der Geräte nach Austritt aus der Sonderschule tendenziell abnimmt. Es liegt die Vermutung nahe, dass die Unterstützung in den Erwachseneninstitutionen aufgrund knapperer Ressourcen und weniger geschultem Personal schwächer ist und dies dazu führt, dass Betroffene weniger Unterstützung bei der Nutzung ihres Kommunikationsgerätes erhalten. Die Zuständigkeit für UK ist in den Institutionen sehr unterschiedlich organisiert. In fast der Hälfte der befragten Institutionen sind eine oder mehrere Personen im Betrieb offiziell für die UK zuständig (40%). Bei den meisten ist die Zuständigkeit breiter verteilt und wird jeweils fallbezogen, beispielsweise durch die Bezugsperson, für die einzelnen Klienten/Klientinnen wahrgenommen (55%). In einigen der befragten Institutionen gibt es zudem eine Arbeitsgruppe oder ein ähnliches Austauschgefäss (35%) und wenige Institutionen (ca. 10%) verfügen über eine UK-Fachstelle. Bei der Abgabe von Kommunikationsgeräten spielen die UK-Zuständigen der Institutionen eine wichtige Rolle. Zum einen können sie gewährleisten, dass das richtige Kommunikationsgerät abgegeben wird, weil sie den Betroffenen gut kennen. Zum anderen können sie die Nachhaltigkeit des Gebrauchstrainings sicherstellen bzw. die Versicherten nachhaltig bei der Verwendung der Kommunikationsgeräte unterstützen. Problematisch ist, dass viele UK-Zuständige im Interview angeben, dass sie nicht über die notwendigen Ressourcen verfügen, um sich stärker engagieren zu können. Nur etwas mehr als die Hälfte gibt an, die technischen Geräte selber bedienen zu können und weniger als die Hälfte traut sich ein Gebrauchstraining zu. Um Abklärungen vorzunehmen, fehlt es den meisten UK-Zuständigen an Kenntnissen zu den aktuellen Entwicklungen (vgl. Bundesamt für Sozialversicherungen, BSV, 2016, S. 49-54). Für die erfolgreiche Umsetzung braucht es das Engagement von allen: Modelling Monika Waigand erklärte im Einstiegsreferat, wie Kinder normalerweise Sprache erwerben: Babys hören ständig und überall Wörter. Die Eltern sprechen mit ihm, das Kind hört unterwegs andere sprechen, es hört Sprache im Radio und im Fernseher usw. Es hört so ca. 4‘000 Wörter täglich. Die Sprache wird nicht gezielt beigebracht, sondern entwickelt sich beim täglichen Kommunizieren miteinander automatisch. In der Regel ist dies ganz anders bei einem Kind, das keine Lautsprache kann und UK unterstützt wird. In Förderstunden wird dem Kind beigebracht, wie es kommunizieren könnte. Ausserhalb der Förderstunden spricht die Umwelt aber eine andere Sprache – die Lautsprache. Was wäre, wenn dem Kind mit UK pro Tag 4‘000 Bilder gezeigt würden und alle in seinem Umfeld mit UK kommunizieren würden? Frau Waigand fordert die gleichen förderlichen Rahmenbedingungen für Kinder mit UK wie für Kinder, die lautsprachlich aufwachsen und lernen. Das Stichwort hierzu heisst: Modelling. Modelling bedeutet, dass Bezugspersonen eine Kommunikationshilfe ebenfalls mitbenutzen. Sie werden damit zum Vorbild bzw. Modell für den Nutzer oder die Nutzerin. Wesentliche Prinzipien des Modelling sind nach Frau Waigand: Der Einsatz erfolgt ohne Voraussetzungen des UK-Nutzenden: Dieser muss die Symbole oder Begriffe weder verstanden haben noch dem Kommunikationspartner/der -partnerin aufmerksam folgen. Die Kommunikation mit dem Hilfsmittel erfolgt nicht in künstlich arrangierten Settings, sondern im Alltag. Kommunikation mit dem Hilfsmittel findet so immer und überall statt. Schlussfolgerung: Die Zukunft von UK in den Institutionen UK gewinnt an Bedeutung. Einerseits durch die fortschreitende Technik und die neuen Möglichkeiten, die sich daraus ergeben. Andererseits aber auch, weil die Zielgruppe zugenommen hat und noch mehr zunimmt: Dies dadurch, dass es tatsächlich mehr Menschen gibt, deren Lautsprache beeinträchtigt ist, aber auch, weil immer mehr erkannt wird, dass UK für eine sehr grosse und unterschiedliche Gruppe von Menschen eingesetzt werden kann. Nicht zuletzt aber auch durch die jüngsten Gesetze, die Teilhabe fordern und vor dem Hintergrund der unterzeichneten Behindertenrechtskonvention. Gefordert ist nun in erster Linie das Engagement der Geschäftsleitungen, die verantwortlich sind, dass UK in ihrer Institution eingeführt und etabliert wird und sie die dafür nötigen Ressourcen zur Verfügung stellen. Gefragt sind nicht nur Geschäftsleitungen von Institutionen für Menschen mit Behinderungen, sondern auch von Altersheimen. Bei der Etablierung ist das Erstellen eines UK-Konzeptes und darin auch die Festlegung der UK-Verantwortlichen und der dafür vorgesehenen Ressourcen ein wichtiger Schritt. Grossgruppenmethoden, sog. Konferenzen, in denen ein gemeinsames Anliegen gefunden und eine gemeinsame Basis geschaffen wird, können dabei hilfreich sein. Wie die BSV-Studie gezeigt hat, ist es für den erfolgreichen Einsatz der UK-Hilfsmittel von grosser Bedeutung, dass die UK-Verantwortlichen darin in Zukunft noch besser geschult werden. Darüber hinaus sollten aber auch alle weiteren Mitarbeitenden der gesamten Institution und soweit möglich des weiteren sozialen Umfeldes im Umgang mit den UK-Hilfsmitteln geschult werden, damit alle die UK-Sprache sprechen können. Nur so kann der Nutzende auch tatsächlich Fortschritte in seinen kommunikativen Fähigkeiten machen. Ausserdem ist eine sorgfältige Absprache mit der vorhergehenden Institution bedeutsam, da sich gezeigt hat, dass beim Übertritt von der Sonderschule in eine Einrichtung für Erwachsene die Nutzung von UK oftmals abnimmt. So kann UK zur Teilhabe an der Gesellschaft und zur Selbstbestimmung genutzt werden, und zwar ein Leben lang! Literatur und Links: Active Communication AG: UK-Symposium 2018. Online: http://www.uk-symposium.ch/pages/beitraege-2018.php (letzter Zugriff: 16.9.2018) Claudio Castañeda und Monika Waigand (2016): Ein Weg für jeden?! Modelling in der Unterstützten Kommunikation. Online: http://www.ukcouch.de/wp-content/uploads/2016/09/ModellingCastanedaWaigandk.pdf (letzter Zugriff: 16.9.2018) Bundesamt für Sozialversicherungen BSV: Analyse der Abgabe von Kommunikationsgeräten an Versicherte der Invalidenversicherung. Online: https://www.bsvlive.admin.ch/praxis/forschung/publikationen/index.html?lang=de&lnr=13/16&iframe_style=yes#pubdb (letzter Zugriff: 16.9.2018) Dorothea Lage und Solveig Steiger (2018): Gelingensbedingungen für die nachhaltige Verankerung von UK in Organisationen der Behindertenhilfe. Online: https://www.brühlgut.ch/wohnen-arbeiten/unterstuetzende-angebote/unterstuetzte-kommunikation (letzter Zugriff: 16.9.2018) Wenn man eine Person in ihrer Entwicklung unterstützen möchte, sind Entwicklungstheorien von grosser Bedeutung. Die richtige Einschätzung des Entwicklungsstandes gibt Anhaltspunkte für die passende Unterstützungsleistung und liefert ausserdem Erklärungen für das Wahrnehmen und Verhalten eines Menschen. Geistige Behinderung bedeutet in erster Linie eine Beeinträchtigung oder Verlangsamung der kognitiven Entwicklung. «Unter kognitiver Entwicklung versteht man die Entwicklung all jener Funktionen, die dem Erkennen und Erfassen der Gegenstände und Personen der Umgebung und der eigenen Person gelten. Zu diesen Funktionen gehören Intelligenz bzw. Denken, Wahrnehmung, Problemlösen, Gedächtnis, Sprache etc.» (Stangl, 2018). Eine der weltweit bekanntesten Theorien zur Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten stammt vom Schweizer Jean Piaget (9.8.1896 in Neuchatel bis 16.9.1980 in Genf). Interessant ist die Frage, ob und wie kann die Kognitionstheorie nach Piaget auf Menschen mit geistigen Behinderungen angewendet werden? Und wie können Menschen mit geistigen Behinderungen folglich am besten in ihrer Entwicklung unterstützt werden? Kognitionstheorie nach Piaget: Wie entwickelt sich das Denkvermögen? Piaget betrachtete die geistige Entwicklung als einen Prozess der aktiven Konstruktion von Wissen in der Interaktion des Individuums mit der Umwelt. Wissen entsteht also im Zusammenspiel zwischen der Person und seiner Umgebung. Dabei sind zwei gegensätzliche Prozesse zentral: die Assimilation und die Akkommodation. · Assimilation: Der Mensch passt Umweltgegebenheiten an bestehende Handlungsmöglichkeiten/Erkenntnisfähigkeiten an. Er benutzt also die ihm zur Verfügung stehenden Mittel (seine kognitiven Mittel und seine Handlungsfähigkeiten), um die Umweltprobleme zu meistern. · Akkommodation: Der Mensch wandelt seine Handlungs- und Denkweisen den Umwelterfordernissen entsprechend an. Auf diese Weise erwirbt er neue motorische und/oder kognitive Fähigkeiten. Piaget ging davon aus, dass kognitive Fähigkeiten aufeinander aufbauen und sich in einer gewissen Reihenfolge bilden. Jedes nächsthöhere Stadium geht aus dem vorangehenden Stadium hervor. Unterschieden werden vier Hauptstadien der geistigen Entwicklung in der Kindheit und im Jugendalter, die im Folgenden beispielhaft erklärt werden. 1. Sensomotorische Stufe (0-1.5/2 Jahre) Das Verhalten in der sensomotorischen Phase entsteht ausschliesslich durch das Zusammenspiel von Wahrnehmungseindrücken und motorischer Aktivität. Das Baby hat angeborene Reflexmechanismen, wie zum Beispiel den Greifreflex, bei dem die Finger des Babys automatisch alles umschliessen, was mit seinen Handflächen in Berührung kommt. Es entdeckt einfache Reaktionen und schüttelt beispielsweise eine Rassel, damit es rasselt. Gegen Ende dieser Stufe erreicht das Kind die Erkenntnis, dass eine Rassel, die unter der Decke verschwindet, weiterhin existiert (das wird auch Objektpermanenz genannt). 2. Präoperative Stufe (1.5-6/7 Jahre) In dieser Stufe lernt das Kind, mithilfe von verinnerlichten Handlungen Probleme zu lösen. Das Denken verknüpft sich zunehmend mit der Sprache. Diese Stufe zeichnet sich beispielsweise aus durch: · Das Kind lernt zu sprechen. · Es orientiert sich an verinnerlichten Handlungsabläufen: Sonntag ist der Tag, an dem Eltern länger im Bett sind. · Das Kind ist selbstbezogen und versteckt sich zum Beispiel hinter seinen eigenen Händen. · Es erkennt Objekte anhand bestimmter Merkmale: Es fliegt, also ist es ein Vogel. · Es erkennt Ursache-Wirkungsketten, aber die genauen Umstände nicht: Das Plüschtier braucht Salbe, damit die Naht „heilt“. 3. Konkret-operative Stufe (6/7-11/12 Jahre) Das Denken ist weiterhin an anschaulich erfahrbare Inhalte gebunden, löst sich aber mehr und mehr von der momentanen Anschauung. Es werden nun verschiedene Merkmale eines Gegenstandes und Vorgangs gleichzeitig erfasst und zueinander in Beziehung gesetzt. Regeln beziehen sich jetzt auf die Relation zwischen zwei und mehr Begriffen. Das Kind denkt im Sinne verinnerlichten Handelns, kann vorausdenken und sein Handeln reflektierend steuern. Logische Schlussfolgerungen über Phänomene, die physische Objekte betreffen, und über konkrete Situationen werden möglich. Das Regelspiel wird zur vorherrschenden Spielform. 4. Formal-operative Stufe (ab 10/11 Jahre) Der Jugendliche kann mit abstrakten Inhalten wie Hypothesen gedanklich umgehen, Probleme theoretisch analysieren und (wissenschaftliche) Fragestellungen systematisch durchdenken. Er hat die höchste Form des logischen Denkens erreicht. Diese Stufe zeichnet sich bspw. durch folgende Punkte aus: · Abstraktes Denken · Schlussfolgerungen · Interpretationen · Hypothesen · Flexibles und wirkungsvolles Denken · Kombinationsanalyse von Möglichkeiten Anwendung: Kann diese Theorie bei Menschen mit geistiger Behinderung angewendet werden? In der Realität erweisen sich die einzelnen Entwicklungsstufen nicht immer als klar voneinander abgrenzbar oder in sich geschlossen und auch an den Altersangaben gibt es Kritik. Die Stufentheorie ist deshalb eher als eine idealtypische Grundform zu werten. Dennoch gilt sie bis heute als Grundlage für viele Forschungsprojekte und Förderkonzepte. Die Übertragung dieses Modells auf Menschen mit geistiger Behinderung funktioniert vor allem für Menschen mit einer leichteren geistigen Behinderung. Bei mittelgradig schweren und schweren Behinderungen ergeben sich Komplikationen bei der Übertragung, da die Entwicklungsverläufe stark schwanken. Obwohl es auch Menschen mit einer Behinderung gibt mit einem relativ homogenen Entwicklungsniveau, so bildet doch die Mehrheit von ihnen nicht alle geistigen Kompetenzen, die einer bestimmten Entwicklungsstufe zugerechnet werden können, gleichmässig aus, sondern sie entwickeln einzelne Teilfunktionen besser als andere. Bei Menschen mit einer leichteren Behinderung kann davon ausgegangen werden, dass die Stufenfolge irreversibel durchlaufen wird. Es zeigt sich jedoch, dass sie diesen Entwicklungsprozess wesentlich langsamer durchlaufen und sich die Möglichkeiten des konkret- und formal-operativen Denkens nicht umfassend aneignen können. Die Entwicklung kann somit am besten unterstützt werden, wenn man weiss, wo sich die Person befindet und gezielt die Funktionen unterstützen und festigen kann, die der Phase unmittelbar vor den ersten Defiziten angehört. Somit kann sichergestellt werden, dass nicht nur die Entwicklung einzelner Teilfunktionen, sondern die der kognitiven Fähigkeiten insgesamt gefördert wird. Literatur und Links:
"Computerbasiertes Experten- und Selbsthilfesystem auf Basis eines systemisch-lösungsorientierten Beratungsansatzes", so lautet der Name des Programmes, das ein lösungsorientiertes Gespräch führen kann. Was ist das «computerbasierte Experten- und Selbsthilfesystem»? Sie können sich darunter eine Webseite vorstellen, die den User durch einen systemisch-lösungsorientierten Beratungsprozess führt. Dabei stellt das System, basierend auf den Methoden des systemisch-lösungsorientierten Ansatzes, Fragen, die der User oder die Userin dann entweder für sich selber beantwortet (Selbsthilfesystem) oder die er als beratende Person dem Klienten oder der Klientin stellt (Expertensystem). Kennengelernt habe ich dieses System an einem der Workshops, die an der diesjährigen „Fachtagung Lösungs- und Kompetenzorientierung“ an der Hochschule Luzern angeboten wurden. Entwickler ist Michael Groer, der an der HSL den MAS Lösungs- und Kompetenzorientierung absolviert und dies als Abschlussarbeit entwickelt hat. Worum geht es beim lösungsorientierten Ansatz? Der lösungsorientierte Ansatz, LOA, ist eine Sichtweise, in welcher davon ausgegangen wird, dass es hilfreicher ist, sich auf Wünsche, Ziele, Ressourcen und Ausnahmen von Problemen zu konzentrieren, anstatt auf Probleme und deren Entstehung. Lösungsorientierte Menschen richten ihre Aufmerksamkeit auf Chancen und Alternativen und wenn etwas nicht klappt, probieren sie immer wieder neue Dinge aus. Die Wurzeln hat der Ansatz in der Lösungsorientierten Kurzzeittherapie von Steve de Shazer und Insoo Kim Berg. Er basiert auf folgenden zentralen Annahmen:
LOA schlägt des Weiteren eine Reihe von Methoden zur Gesprächsführung vor. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass der Fokus immer auf der Lösung und nicht auf der Entstehung des Problems liegt. Ausserdem werden Lösungen angestrebt, die von der betroffenen Person selbst und nicht vom beratenden bzw. begleitenden Menschen entwickelt werden. LOA ist damit anschlussfähig an das Konzept des Empowerment und somit eine Hilfe die BRK konkret umzusetzen. Viele sozialpädagogische Institutionen haben LOA deshalb im agogischen Konzept verankert. Wie funktioniert das computerbasierte System? Im System sind alle möglichen Varianten einer systemisch-lösungsbasierten Beratung abgelegt. Auf der Seite wird dann eine Frage nach der anderen angezeigt, welche die Fachperson der Klientin oder dem Klienten stellt. Bei der Nutzung als Selbsthilfeprogramm beantwortet die Userin oder der User die Fragen für sich alleine. Je nachdem können die Antworten mündlich ausgesprochen oder für sich notiert werden. Das System wartet, bis die befragte Person soweit ist und der User oder die Userin auf "weiter", «ja» oder «nein» klickt, um dann mit der nächsten Frage fortzufahren. Ein grosser Vorteil ist, dass das Programm funktioniert, ohne dass persönliche Daten eingegeben werden müssen, und ist daher datenschutztechnisch völlig unbedenklich. Ersetzt dieses Computerprogramm den Menschen als Berater? Ich habe das Programm im Rahmen von Weiterbildungen mit über 50 Personen getestet. Dabei hat mich das Programm überzeugt. Was Sie möglicherweise erstaunen wird, ist, dass sich die grosse Mehrheit der Teilnehmenden durch die Fragen des Programmes gut abgeholt gefühlt hat. Das liegt möglicherweise daran, dass sich das Programm, durch die Option «ja» oder «nein» anklicken zu können, dem Benutzer automatisch anpasst. Die Hoffnung, dass sie das Problem lösen können, ist bei allen Teilnehmern im Vergleich zum Beginn des Beratungsprozesses gestiegen, zum Teil massiv. Die Teilnehmenden berichten, dass sie das ja eigentlich alles schon wussten, aber es ihnen durch diesen Beratungsprozess erst viel deutlicher geworden ist. Ideal ist, dass die Benützer und Benützerinnen lösungsorientiert an einem Problem arbeiten können, ohne mit dem lösungsorientierten Ansatz selber näher vertraut zu sein. Das Computerprogramm eignet sich somit auch ausgezeichnet zu Übungszwecken, um das lösungsorientierte Fragen und Denken einzuüben. Allerdings war es für einige etwas befremdlich, dass ihr Gegenüber die Fragen von einem Computer abgelesen hat, weil so der Augenkontakt nicht immer aufrechterhalten werden konnte. Auch die Formulierung der Fragen wirkte zum Teil etwas mechanisch. Einen Menschen mit einem offenen Ohr und empathischer Zuwendung wird wahrscheinlich kein Computer der Welt ersetzen können. Dennoch bin ich überzeugt, dass dieses Programm vielen Menschen weiterhelfen kann. Es macht Lösungsorientierung für jeden zugänglich, der lesen kann und ein Handy oder einen Computer mit Internetanschluss hat. Probieren Sie es aus unter: www.solution-focused.ch. Literatur und Links:
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Sonja Gross Master of Arts in Erziehungswissenschaft
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